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Taking Sides – Der Fall Furtwängler

Ein Dirigent im Kreuzverhör

In vielen seiner Filme stellte István Szabó die Frage, welche und wie viele Kompromisse mit einer menschenverachtenden Diktatur geschlossen werden können, erkundete mehr als einmal die Grauzone, in der Kunst und Politik umeinander buhlen und miteinander ringen.

In MEPHISTO hieß der Fall Gustav Gründgens; nun öffnet Szabó die Akte Wilhelm Furtwängler. Von 1922 bis 1945 war er Leiter der Berliner Philharmoniker und galt in dieser Position unweigerlich als künstlerisches Aushängeschild des Naziregimes. Nach Ende des Krieges wird der US-Major Steve Arnold damit betraut, Furtwänglers politische Haltung während der Nazi-Zeit zu untersuchen. Verbissen, wütend und mit der Selbstgewißheit des Gerechten forscht er in Dokumenten, verhört ehemalige Orchestermitglieder und schließlich auch Furtwängler selbst - die individuelle Schuld des Dirigenten scheint für ihn bewiesen. Um so mehr verärgert und verwundert ihn die Milde, mit der seine Mitstreiter dem Musiker begegnen: Emmi Straube, die Tochter eines der Hitler-Attentäter, und David, emigrierter Jude in Diensten der Alliierten, bewundern Furtwänglers Kunst.

Mit Beethovens Schicksalsklopfen eröffnet Szabó ein ethisches Tribunal, läßt anders als in seiner Geschichte des Schauspielers Hendrik Höfgen, die im chronologischen Erzählen Konflikte als Prozesse schilderte, die moralischen Standpunkte direkter, physischer aufeinanderprallen. Pro und Kontra verzweigen sich bis in die Nebenhandlungen, in denen Szabó durchaus eigennützige Interessen der Vertreter der Siegermächte ebenso wie Arnolds und Davids Konkurrieren um die Gunst Emmis zeigt. Doch die zentrale Situation des Verhörs, der ständige Wechsel der Positionen zwingt der so komplex angelegten Suche nach Richtig und Falsch bisweilen ein zu starres Korsett auf.

Als ungleiche Duellanten brillieren Keitel und SkarsgŒrd, während die adäquate Besetzung der übrigen Rollen - trotz des beeindruckenden Aufgebots an deutschen Stars - nicht in jedem Falle geglückt ist.

Originaltitel: TAKING SIDES

D/F/GB 2001, 105 min
Verleih: Alamode

Genre: Drama

Darsteller: Harvey Keitel, Stellan SkarsgŒrd, Moritz Bleibtreu, Birgit Minichmayr, Ulrich Tukur, Hanns Zischler, August Zirner, Armin Rohde

Regie: István Szabó

Kinostart: 07.03.02

[ Sylvia Görke ]