22 Bewertungen

The King’s Speech

Schauspielerische Brillanz als Kino in seiner Urbestimmung

Manch einer macht wüste Backenlockerungsübungen, ein anderer gurgelt sich die Kehle rein, und dann wieder gibt es so Naturtalente, die rein gar nichts tun müssen, als nur ans Mikrofon zu treten und zu reden. Einfach so. Oder eben nicht, wovon Bertie ein Lied zu singen weiß, weil es ihn ängstigt, weil er es nicht kann, dieses freie Parlieren, dieses rhetorische Schleifen – weil Bertie stottert. Was komisch klingt und in einigen Momenten bewußt zur Komik taugt, beginnt hier als Drama, denn Bertie ist der Sohn von George V., dem König von England.

Ouvertüre ist die, daß Bertie für den Alten einspringen muß, und das Mikrofon gnadenlos und mit fiesem Echo bei „The ...“, und dann bei „The ...“, und schließlich weiterhin bei einem mit noch mehr Hall unterlegtem „The ...“ verharrt, wo eigentlich „ ... King Of England“ folgen soll. Mit Schmach und tiefer Scham geht Bertie ab, das traurige Gesicht seiner Frau spricht Bände, und sie läßt sich dennoch nicht von Resignation heimsuchen. Ein immer noch allerletzter Versuch, nur noch ein weiterer Therapeut, hier soll es der unkonventionelle Lionel Logue sein, der den Prinzen beim Spitznamen nennt, der um Schillinge in der Therapie gaubelt, der seine Majestät zum Rollen über Teppiche, zum Tanzen, zum Singen, zum Ausrasten, zum Therapieabbruch, dann aber auch einmal zum Lachen und schließlich zum Reden bringt! Umwege, Enttäuschungen und zahlreiche Gänsehautmomente inklusive!

Was für ein fein ausgestatteter Film, welch Ensemblestück von geradezu schauspielerischer Bravour und am Rande ein nahezu philosophischer Exkurs über das hohe Gut der Sprache als Fähigkeit! Das ist Kino vom Feinsten und gehört bestenfalls im Original genossen! Regisseur Tom Hooper findet das richtige Lot aus Tragik und Komik, hat das rechte Maß für Hintergründe, historische wie psychologische, wozu ein Blick in Berties schwierige Kindheit genügt. Unter jedem Dach ein Ach, möchte man seufzen, als – geschichtlich verbrieft – der nachfolgende König, Berties Bruder Edward, einer nicht ganz standesgemäßen Liebe wegen abdanken muß, und Berties große Prüfung unausweichlich wird. Er muß den Menschen im Land Mut machen, denn es ist mittlerweile Krieg in Europa. Dieses faktische Zusammenspiel läßt Bertie wachsen, ohne an Bodenhaftung einzubüßen, weshalb er schließlich über sein Stigma siegen und die Herzen der Briten erobern wird – als König.

Zentrum ist das schauspielerische Zusammenspiel zwischen den wunderbar aufgelegten Geoffrey Rush und Colin Firth, der sich nach A SINGLE MAN erneut als gereifter, geradezu charismatischer Mime beweist. Ohne Zeigefinger hebt Hooper an, die Wichtigkeit der Sprache, einer eigenen Stimme quasi, zu betonen, was ja auch schon Wittgenstein klug mit den Grenzen der Sprache (ergo des Sprechens) im Zusammenhang mit einer begrenzten Welt erkannte.

Dazu gibt es einen Einblick, wie verbittert wieder mal die Kirche versuchte, in königliche Entscheidungen reinzuquatschen, und jeder, der schon mal eine Rede halten durfte oder mußte, kriegt einmal mehr ein Gespür dafür, wie lang drei Minuten sein können. Drei Minuten, die der Zuschauer mit Bertie bangt, hofft und am Ende strahlt. Das ist Kino in seiner Urbestimmung.

Originaltitel: THE KING’S SPEECH

GB 2010, 118 min
FSK 0
Verleih: Senator

Genre: Historie, Tragikomödie

Darsteller: Colin Firth, Geoffrey Rush, Helena Bonham Carter, Guy Pearce, Timothy Spall, Derek Jacobi

Regie: Tom Hooper

Kinostart: 17.02.11

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.