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Tierra

Wein, der nach Erde schmeckt

Dieses Werk von Julio Medem ist in Deutschland bisher durch das Verleihnetz gegangen. Acht Jahre später wurde er aus den Untiefen des Arthausmeeres gefischt und kommt nun ganz frisch auf den Teller. Liebhabern solcher spanischen Schwelgereien entfaltet sich beim Genuß das ganze Medem-Universum: pathetisch, symbolträchtig, bedeutungsschwer und bildgewaltig. Das Leben ist wie Wein, der nach Erde schmeckt. So auch der Titel des Filmes - Tierra (Erde). Es geht ums Ganze: Himmel und Erde, Leben und Tod, Leidenschaft und Liebe. Menschen, von ihren Gefühlen zerrissen. Filmerzählungen, mythologisch-verrätselt und verschachtelt, die immer tiefer in die Seelen der Protagonisten hinab gleiten - Medem produziert intellektuellen Kitsch.

Aber ach, wer könnte sagen, daß ihn so viel Sinnlichkeit völlig kalt ließe! Eine gewisse Faszination verströmt auch dieses vollmundige Werk, obwohl die immer neuen Wendungen und Gefühlsaufwallungen am Ende des öfteren unfreiwillig komisch wirken und man bei aller emotionalen Beteiligung auch leicht mal außen vor bleibt.

Worum geht’s? Ein Mann kommt aufs Land, um dort die Käfer auszurotten, die den Boden zerwühlen und dem Wein der Region seine besondere erdige Note verleihen. Er scheint direkt vom Himmel zu kommen. Zumindest hält Ángel einen Teil seiner selbst für einen Engel. Gemunkelt wird, er war in einer Psychiatrie. Er taucht ein in die Atmosphäre, atmet die unverdorbene Luft. Die ist voller Elektrizität, Menschen werden vom Blitz erschlagen. Männer mit Flinten rennen durch gold-glitzernde Felder, treiben Wildschweine vor sich her und buhlen um Frauen. Verführen und Widerstehen - alles kann einen hier den Kopf kosten.

Der Held steht natürlich zwischen zwei Frauen: Angela, die liebevolle Hausfrau, und Mari, die Nymphomanin, die sich mit Ángels Hilfe endlich vom Sex befreien will. Beide sind gebunden an das Tier Patricio, die eine als Ehefrau, die andere als Geliebte. Diese Konstellation stellt den Schizophrenie-anfälligen Protagonisten auf die Probe. Der Engel in ihm liebt Angela, das andere Ich begehrt Mari. So scheint es. Aber dann kehrt sich doch alles um, und Ángel erkennt einmal mehr, was für ein komplexes und bindungsunfähiges Wesen er selbst ist.

Man kann es sich auch schwer machen, denkt der Rezensent und verbleibt angesichts des üppigen Streifens ähnlich entzweigerissen wie der Held des Filmes.

Originaltitel: TIERRA

Spanien 1996, 118 min
Verleih: Flax Film

Genre: Drama, Liebe

Darsteller: Carmelo Gómez, Emma Suárez, Karra Elejalde, Silke Hornillos Klein

Regie: Julio Medem

Kinostart: 25.11.04

[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...