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Venezianische Freundschaft

Südlich der Lagune

Qu Yuan war ein chinesischer Dichter der Antike. Noch heute werden Kerzen in Flüsse und Seen gesetzt, um seiner Seele zu gedenken. Und wenn es keine Seen und Flüsse sind, muß eine Badewanne genügen. Die Heimat ist fern für Shun Li. Die junge Frau ist Gastarbeiterin. Der Begriff Osteria bekommt eine neue Bedeutung, denn auch Shun Li stammt aus China und arbeitet in Italien. Zunächst ist sie Näherin in Rom, dann wird sie in ein Café nach Chioggia versetzt.

Regisseur Andrea Segre vermeidet in VENEZIANISCHE FREUNDSCHAFT schon hier das erste offensichtliche Klischee, indem er seine Handlung eben nicht in Venedig ansiedelt, sondern in der Stadt am südlichen Ende der Lagune. Rein optisch muß er auf nichts verzichten, nicht auf die Holzhütten der Fischer im Wasser, die Kanäle, das Acqua alta, das Licht und – wenn es gut kommt – die Alpen am Firmament. Auf die Hafencafés sowieso nicht. Dort sollte die freundliche Shun Li schnell lernen, daß Außenstände hier Schulden heißen, „Dick & Doof“ ein rot-orangenes Getränk ist, und schon mal ein Pflaumenschnaps in den Kaffee kommt, wenn rauhe Männer das wollen. Dafür steigen sie auch gleich mal selbst hinter den Tresen. Für Shun Li ist der neue Job in jedem Falle eine Verbesserung ihrer Lage. So kann sie irgendwann nicht nur die Schulden für ihre Überfahrt und die Aufenthaltsgenehmigung an den mafiösen Apparat der Landsleute zurückzahlen, sie kann vielleicht bald auch ihren 8jährigen Sohn nach Italien holen.

Warten auf Nachrichten, Zeichen von Willkür. Italienische Freunde, sagt die Frau, mit der Shun Li wohnt, können diese Nachrichten verzögern. Was aber tun, wenn einer der älteren Fischer, die sich tagtäglich in diesem Café ihre üppige freie Zeit vertreiben, wirklich nur besonders freundlich sein will? Wenn es der grundgütige Bepi ist, der selbst vor 30 Jahren aus Jugoslawien nach Chioggia kam und mit gedichteten Worten etwas anzufangen weiß? Wobei auch das nicht zum Klischee verkommt.

VENEZIANISCHE FREUNDSCHAFT ist ein Film, dem man nicht nur gern im Europäischen Parlament Preise gibt ob seiner „zeitaktuellen Brisanz des interkulturellen Dialogs zwischen Migranten … “, es ist ein feinfühliges, sanftes, zärtliches Drama, das Anrührendes nicht mit Rührseligem verwechselt. Fünfzeilige Kurzbeschreibungen seines Inhalts sollten also keinesfalls abschrecken.

Originaltitel: LO SONO LI

I/F 2011, 98 min
FSK 6
Verleih: Rendezvous

Genre: Drama, Poesie

Darsteller: Zhao Tao, Rade Sherbedgia, Marco Paolini, Giuseppe Battiston

Regie: Andrea Segre

Kinostart: 05.12.13

[ Andreas Körner ]