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Villa Amalia

Psychogramm einer radikalen Frau

Wer verspürt nicht ab und zu den Impuls, alles hinter sich zu lassen, auszubrechen ohne Ziel, um irgendwann auf diesem unbekannten Weg eine lang verschüttete Seite des eigenen Ichs wiederzufinden? Die wenigsten folgen einem solchen Impuls, zu viel hält uns davon ab: Bindungen, Verantwortlichkeiten, Angst.

Anders die so erfolgreiche wie rätselhafte Pianistin Ann Hidden. Eines Abends ertappt sie ihren Mann beim Fremdgehen, zeitgleich trifft sie unverhofft ihren alten Kindheitsfreund Georges wieder. Das ist der Auslöser, ihr bisheriges Leben radikal zu beenden. Ann, die eigentlich Eliane heißt, verläßt ihren Mann ohne Erklärungen, sie verkauft ihr Appartement, bricht mit der Routine ihrer Musikkarriere, kündigt Konto und Telefon, wirft das Handy weg. Sie will einfach verschwinden aus der Welt, ohne Spuren zu hinterlassen, wie sie es Georges erklärt. Auf seine Frage nach dem Warum gibt sie keine Antwort. Es ist eine innere Notwendigkeit, der sie folgt. Punkt. Dabei wirkt sie, als hätte nichts wirklich mit ihr zu tun.

Und so beginnt Ann-Eliane ihre Fahrt durch Europa. Sie hat nicht einmal Gepäck dabei, wenn sie neue Sachen kauft, entsorgt sie die alten samt Tasche ebenso radikal wie ihr früheres Leben. Schließlich findet sie auf einer süditalienischen Insel den Ort ihrer Sehnsucht: ein leerstehendes Haus hoch über der Küste. Von dort geht der Blick auf die Weite des im Sonnenlicht flirrenden Meeres. Überhaupt das Meer, Ann-Eliane liebt dieses Element, sie vertraut sich dem Wasser bedingungslos an, läßt sich von ihm tragen und treiben, bis sie fast ertrinkt.

Die Rolle der Ann-Eliane ist Isabelle Huppert auf den Leib geschrieben, sie spielt sie nicht, sie verkörpert sie. Anfangs ist sie ein Vulkan unter einer Eisdecke, kaum ein Lächeln stiehlt sich auf ihr verschlossenes Gesicht. Im Laufe des Films durchbricht sie allmählich die Mauer der inneren Leere und Beziehungslosigkeit, die sie um sich errichtet hat. Behutsam öffnet sich diese verschlossene Muschel wieder dem Leben, der Liebe und der Kunst.

VILLA AMALIA ist ein fabelhaft gespieltes Psychogramm, der stakkatohafte Schnitt unterstreicht die Reduziertheit der ganz aufs Wesentliche konzentrierten Inszenierung.

Originaltitel: VILLA AMALIA

F/CH 2009, 94 min
Verleih: Peripher

Genre: Drama

Darsteller: Isabelle Huppert, Jean-Hugues Anglade, Xavier Beauvois

Regie: Benoit Jacquot

Kinostart: 17.02.11

[ Dörthe Gromes ]