Label: Universum

Große Kinomomente

Mit der Markteinführung der DVD vor fast 15 Jahren flammte im Rekordtempo etwas auf, das es unter Filmfreunden zwar schon immer, jedoch in solcher Intensität nicht einmal in der Hochzeit der Videokassette gegeben hat: der Rausch des Sammelns. Das Medium DVD selbst ist von langer Lebenszeit, die Qualität ganz prächtig (wenn das Master es hergibt), das kompakte Format ermöglicht vorbildhafte Lagerung und Katalogisierung (Pflichtkür für jeden echten Sammler!), der Preis ist meist zahlbar. Schnell kam die Filmwirtschaft darauf, nicht nur Einzeltitel zu vermarkten, sondern Kompilationen zu erstellen, um den Hunger nach mehr zu stillen: mehr von einem Regisseur, mehr von einem Schauspieler, mehr von einem Genre.

Richtig gut gedacht – zumindest aus wirtschaftlichen Gründen, was Aufwand und Rechteverfügbarkeit betrifft – dürften dabei all die Zusammenstellungen sein, die sich noch allgemeiner halten, die bei der Auswahl der Filme einfach nur aufs Qualitätssiegel setzen – wie diese hier. Und da muß man anerkennend sagen, daß von den 50 ausgewählten Filmen, die hier maßgeblich von vier Home-Entertainment-Anbietern zur Verfügung gestellt wurden, doch deutlich mehr als die Hälfte den Titel „Klassiker“, mindestens aber „großer Kinomoment“ verdienen. Geboten wird ein interessanter Querschnitt des Arthouse-Kinos der letzten Jahre. Da dürfen die Staffelträger wie François Ozon (8 FRAUEN), Pedro Almodóvar (SPRICH MIT IHR), David Lynch (THE STRAIGHT STORY), David Cronenberg (EASTERN PROMISES), Ang Lee (BROKEBACK MOUNTAIN) und Jim Jarmusch (BROKEN FLOWERS) natürlich auf keinen Fall fehlen.

Immerhin sechs deutsche Filme sind dabei. Ob da nun jeder zum ganz großen Kinomoment taugt, darf durchaus hinterfragt werden, denn ein – wenn auch ganz beachtliches – Debüt wie PRINZESSINNENBAD sollte schon mit einigem Respekt zum anderen Schuber schielen, der dann wahrhaft Großes wie Andreas Dresens WOLKE 9 beinhaltet. Natürlich ist kein echter Rohrkrepierer unter den ausgewählten Werken, dafür bürgt schon der Name „Kulturspiegel“, das Magazin fungiert quasi als Kurator der Sammlung. Aber: Bei einer Handvoll Filmen ist doch davon auszugehen, daß sie zum einen lupenreine Ladenhüter waren und über diese Kollektion nun in den (besseren) Verkauf gemogelt wurden und zum anderen, daß sie tatsächlich kaum das Zeug zum Kinomoment, geschweige denn zu einem großen haben: Dazu zählen das schon fast peinlich kauzige Altherren-Antony-Hopkins-Vehikel MIT HERZ UND HAND (allein der deutsche Titel schon), die Geronto-Doku YOUNG@HEART, das Filmmosaik NICHTS ALS GESPENSTER, ein auf hohem Niveau und wenigstens in toller Kulisse gescheiterter Versuch einer Adaption, sowie der ziemlich schwülstige KLANG DES HERZENS, mit dem Kirsten Sheridan versuchte, in die Fußstapfen ihres berühmten Vaters zu treten. Womit sie schlicht zu viel gewollt hatte ...

Positiv zu bewerten ist, daß jedem Film ein ansehnliches Booklet beigefügt wurde. Dieses beinhaltet neben der kompetenten Filmbesprechung durch „Spiegel“-Kritiker etliche Randnotizen zur Entstehung der Filme, Interviews mit den Filmemachern, Drehbuchauszüge, teils recht ausführliche Regisseurs-Porträts und filmografische Angaben. Interessant zu erfahren ist da beispielsweise, daß Marc Foster, hier mit MONSTER’S BALL vertreten, erst mit zwölf Jahren seinen ersten Kinofilm sah, der ihn dann aber auch sofort entflammte. Das war übrigens Francis Ford Coppolas APOCALPYSE NOW – in der Box als Redux-Version inkludiert. Daß man sich beim Foto zu Fosters Biographie ein wenig vergriff, sei verziehen. Keine Ahnung, wer der blondlockige Abgebildete ist, der Kahlkopf Foster definitiv nicht.

Wohlgefallen findet auch die konsequent nüchterne Aufmachung der DVDs, die Filme sollen für sich sprechen, des Stils wegen hat man auch auf die allseits bekannten Postermotive auf dem Cover verzichtet (das deutsche Kinoplakat gibt es auf der Rückseite als kleinere Applikation) und dafür jeweils ein ausdrucksstarkes Szenenbild gewählt – eine gute Entscheidung.

Ein definitiv lohnenswertes Vergnügen bei einer solchen Box ist es, wenn man liebgewonnene Filme nach ein paar Jahren mal wieder sieht. Bei den Filmen von Zuhause trifft das beispielsweise auf BANG BOOM BANG zu, der noch immer einer der frischesten, charmantesten deutschen Filme der letzten Jahre ist und zudem zeigt, daß Oliver Korritke tatsächlich mal ein ganz passabler Schauspieler war. Auch in Vergessenheit geraten ist, daß Bruno Ganz früher ohne ständig zitternde Führerhand und andere Theatergesten, dafür mit Zwischentönen spielte – hier kann man sich in BROT UND TULPEN davon überzeugen. Und es gibt die berühmte zweite Chance – für den Zuschauer in diesem Fall, der zum Beispiel wahrhaft Großes wie TRANSAMERICA, MARIA VOLL DER GNADE, NACH DER HOCHZEIT und SON OF RAMBOW an der Kinokasse leider nicht gebührend honorierte. Hier kann er dies nun wieder gutmachen.

Überhaupt ist dieser Sammlung zu attestieren, daß noch für jeden Filmliebhaber etwas dabei sein dürfte. Für jene, die gern auf hohem Niveau schluchzen, sind mit DAS GEHEIME LEBEN DER WORTE und MEIN LEBEN OHNE MICH gleich zwei Filme von Isabel Coixet vertreten, zu Tränen rührt auch immer wieder Alejandro Amenàbars fabelhafter Film DAS MEER IN MIR, für die Echtheitsfanatiker gibt’s Dokumentarisches wie Michael Moores SICKO oder Erwin Wagenhofers WE FEED THE WORLD, für all jene, die das Bruchstückhafte von Kurzfilmsammlungen mögen, dürfte PARIS, JE T’AIME genügen. Anhänger von Literaturverfilmungen kommen unter anderem mit MONSIEUR IBRAHIM UND DIE BLUMEN DES KORAN und INTO THE WILD auf ihre Kosten und Animationsfreunde mit dem Ur-Vater des Anime gut weg – von Hayao Miyazaki ist CHIHIROS REISE INS ZAUBERLAND dabei. Für Fantasy-Jünger glänzt Guillermo del Toro mit PANS LABYRINTH, und für alle jene, die es pikanter mögen, dürften Larry Clarks KEN PARK und John Cameron Mitchells SHORTBUS genügen. So breitgefächert sieht Filmkunst nun mal aus.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.