Originaltitel: CLUB ZERO

Österreich/GB/D/F/DK/Katar 2023, 110 min
FSK 12
Verleih: Neue Visionen

Genre: Drama, Thriller, Satire

Darsteller: Mia Wasikowska, Sidse Babett Knudsen, Luke Barker, Florence Baker

Regie: Jessica Hausner

Kinostart: 28.03.24

2 Bewertungen

Club Zero

Fasten For Future – Eine Extremismusgroteske für Nochbesseresser

Der französierende Sammelbegriff „Nouvelle Vague Viennoise“, von der Filmkritik um 1999/2000 eingeführt, beschreibt keinen Stil, sondern eine merkwürdige Erfahrung. Im vergleichsweise winzigen Binnenstaat Österreich hatte sich um die letzte Jahrhundertwende ein Tsunami aufgetürmt. Er überrollte die Kino-Gourmetage so heftig, daß die europäische Filmkunstlandschaft danach eine andere war. Die Welt entdeckte Austria als Kapitale des Feel-Bad-Cinema.

Daß die Monsterwelle Regisseure wie Michael Haneke oder Ulrich Seidl endlich aus der Geheimtip-Schublade ans Licht zerrte, darf als glücklicher Kollateralschaden gelten. Vor allem aber katapultierte sie absolute Beginner aus den Klassenräumen der Wiener Filmakademie in die A-Klasse-Festivals des Kontinents. Zu ihnen gehörte auch Jessica Hausner. Mittlerweile Stammgast in Cannes und Venedig und berufenes Mitglied der OSCAR-Academy, werden ihre Arbeiten als „typische“ Hervorbringungen des Neuen österreichischen Films eingemeindet. Was das angesichts all der darunter versammelten Stör- und Ausnahmefälle bedeutet und wie ein „typischer Hausner“ aussieht? Tja.

Die Mädchenwut-Explosion LOVELY RITA, die Heilskomödie LOURDES, das Sci-Fi-Märchen um die gentechnisch getunte Wunderblume LITTLE JOE – puzzelt man Hausners Filme aneinander, scheint keiner zum anderen zu passen. Aber genau dafür sind sie gemacht: Zusammendenken üben, mit Mut zur Interpretationslücke. Jetzt kann man weiterüben, nämlich an CLUB ZERO, einer stilisierten Satire, die mit den unappetitlichen Brocken des realen Zeitgeistes hantiert. Der erste liegt noch vor dem Vorspann: Ein Warnhinweis für alle von Eßstörungen Betroffenen. Wer aber zwischen Fernsehkochshows und aktuellen Nachrichten über Hungerkrisen hin- und herzuschalten in der Lage ist, wer sich erinnert, daß selbst nach „No Future“ ein Morgen anbrach und nach Tschernobyl Pilzgulasch in die Rezeptcharts zurückkehrte, darf sich (ungestraft?) über junge Leute lustig machen: In Muttis Smart-Home-Küche hocken und sich aus Protest noch nicht mal ein Wellness-Brot schmieren? Ihr seid mir die Richtigen!

Aber wo genau wurde Hausners typisierendes Porträt der wie all ihre Vorgänger komischen „Jugend von heute“ aufgenommen? Die begehbare Hauptkulisse ist ein Schulgebäude, in Fertigteilen mit Plastik und Naturholzelementen errichtet, gegen jede Deko-Trendwende mit Understatement gewappnet. Vielleicht blitzt es hier deswegen so sauber, weil verantwortungsvolle Eltern und nicht ein nachlässiger Staat den Unterricht finanzieren? Der privatisierte Lernort muß sich irgendwo im globalen Norden und dort in einer der besseren Gegenden befinden. Das legt der geordnete, jedoch durchaus innovative

Schulbetrieb nahe. Besonders stolz ist die Direktorin darauf, daß ein Stipendium sogar die Beschulung von rotbäckigen Alleinerzogenen wie Ben ermöglicht. Noch stolzer ist sie allerdings auf die Neueinstellung von Frau Novak, einer ausgewiesenen Fachlehrkraft, die von nun an „Bewußte Ernährung“ unterrichtet. Methodisch ultramodern aufgestellt, mit konstruktiver Kritik und inklusiv strukturierten Schautafeln, führt sie fünf zunehmend entzündete Teenager in einen Geheimbund ein, der ganz ohne Essen auskommt und sich nur den Wissenden zeigt. Nichts gesehen? Durchgefallen!

Irrsinnige Wahrnehmungsausfälle, präsentiert in extravaganter Schönheit, so verführerisch wie die stets bescheiden auftretende Frau Novak. Der Ekel kommt in den edlen Farben von Erbrochenem daher. Das Beige-Grün-Lila wiederholt sich in den Schuluniformen, wird den Teens in die blassen Gesichter geschminkt. Dazu stimmungsvolle A-cappella- und Perkussionsfetzen aus dem Off. Zu schlicht geschrieben, zu dick aufgetragen, meint die Kopfschüttelfraktion. Im Fall von CLUB ZERO behält sie recht, sogar auf wunderbar erhellende Weise. Denn Hausner operiert an den Kipp-Punkten des tobenden Kultur-, Generationen- und Klassenkampfes, exakt dort, wo man sich den Gegner simpler malt, um ihn tödlicher treffen zu können.

[ Sylvia Görke ]