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Cosmopolis

Ein Film – zwei Meinungen

Bei seinem Erscheinen vor zehn Jahren war Don DeLillos Roman „Cosmopolis“ von prophetischer Weitsicht. Was der Autor imaginierte, äffte die Wirklichkeit nach. Im Großen (Platzen der Banken-Spekulationsblase) und im Detail (Demonstrationen auf der Wall Street). David Cronenberg hat jetzt das Buch verfilmt. Bebilderte New Economy und Prostataprobleme, die Libido des Kapitals und die des Kapitalisten als Kammerspiel in der Stretchlimousine. Ein Film über die Realität des Realitätsverlustes und die Relativität der Relativitätstheorie. Und eine Vampir-, eine Gespenstergeschichte über den Zusammenhang von seelischer Leere und ökonomischem Leerlauf.

Eric Packer heißt der gelackte Jungschnösel. Prachtexemplar des zynischen Spekulanten, den TWILIGHT-Schönling Robert Pattinson perfekt verkörpert: nämlich als Menschen, der sich längst schon selbst zum Vampir gemacht hat. Bleich und blasiert. Gierig zwar und doch von fast müder Gleichgültigkeit. In seiner Limousine will dieser Packer, dieser Untote des Cashflow und des Lifestyle, auf dem Breitengrad der 47. Straße Manhattan queren. Doch die Stadt steht vorm Kollaps: Der Präsident ist zu Besuch, gewalttätige Globalisierungsgegner demonstrieren, ein Sufi Rapper wird unter Beteiligung zahlreicher Fans zu Grabe getragen. Kein Grund für Packer, auf seinen Friseurtermin am anderen Ende der Stadt zu verzichten. 24 Stunden wird er bis dorthin brauchen. Und am Ende nicht nur Haare gelassen haben.

„Talent ist erotischer, wenn es verschwendet wird“ – solche Sätze fallen in COSMOPOLIS ständig. Inflationär, bis zur Geschwätzigkeit, ja, aber mit Methode. Wie Herbstlaub. Und am Ende, gleich kahlen Bäumen, bleiben hier kahle Charaktere, schmucklose Seelen. Wie dieser Packer eben. Ein Typ, rational bis zum Irrsinn, was etwa auch heißt, daß dessen häufiger Sex wie Waschzwang wirkt und so befriedigend ist, wie ein hygienischer Akt nur sein kann. Klar, das schrillt überzeichnet, aber Cronenberg ist ein Meister des Überzeichnens und Ausreizens und sein Film eine zumal formal bestechende Ode an die Künstlichkeit. Darin das Sterile als Symptom des Gespenstischen. Und gespenstisch wird COSMOPOLIS zunehmend. Und nicht nur, aber gerade auch, weil darin Marx paraphrasiert wird: Ein Gespenst geht um in der Welt. Nur meint das hier weniger das Gespenst der kommunistischen Utopie, als vielmehr das unserer kapitalistischen Realität. Oder besser: das, wozu diese Realität uns machen kann. Zu Gespenstern nämlich. [Steffen Georgi]






Sechs Tage. So lange oder eben kurz hat Cronenberg gebraucht, um DeLillos Roman zum Skript umzuarbeiten. Rekordverdächtig, solche Rasanz. Andererseits aber keine Hexerei, wenn man die Dialoge einfach 1:1 abtippt und zwischendrin noch ein paar Lücken schließt. Und beim Dreh darauf verzichtet, das Gesagte letztlich mit den Bildern zu verbinden, denn für statisches Abfotografieren braucht es keinen Regisseur vom Kaliber Cronenbergs.

Im Stakkato prasseln also Abhandlungen über Finanzen, Abgründe und die mit gelangweilter Überraschung wahrgenommene Augenfarbe des Angetrauten vor sich hin, irgendwann fällt folgender markiger Satz: „Geld führt Selbstgespräche.“ Tja, das mag wohl irgendwie so sein, gleichzeitig entsteht indes der Eindruck, es gelte ebenfalls für die ständig aufpoppenden und wieder abgehenden Handlungsträger. Nun ist so ein Selbstgespräch per se nicht das Schlechteste, zumindest redet man ja mit dem vielleicht einzigen Gegenüber, welches einen wirklich versteht. Oder halt nicht, von Fall zu Fall. Die Cronenbergs Gedankenspiel bevölkernden Menschen, zombiehafte Humanhüllen allesamt, gehören da eher zur letzteren Kategorie. Was einerseits unangezweifelt beabsichtigt ist, andererseits jedoch auch der Synchronisation auferlegt werden muß – die Sprecher würgen ihre Dialoge derart unbeholfen raus, als wüßten sie kaum, was von ihnen eigentlich verlangt wird.

Die im Roman perfekt funktionierende, fetzenklein gerupfte Sprache rückt isoliert, ohne echte Anknüpfung zum Visuellen, den Film in die Nähe eines illustrierten Hörspiels. Was gleichsam die Darsteller – darunter Hochkaräter wie Juliette Binoche, Paul Giamatti oder Samantha Morton – zu ziemlich ratlosem Agieren zwingt. Am besten kommt tatsächlich noch Robert Pattinson weg, was wenig wundern mag, weil die emotionslos-gelackten Sätze ganz gut zu einem mimisch eingeschränkten Darsteller wie ihm passen.

Die Limousine als lebendig begrabender Sarg, hermetisch abgeriegelter Sarkophag, im Stop-And-Go rollende Gruft: Das will Cronenberg zeigen, das hat ihm fraglos gefallen. Aber er verliert dabei jedes Augenmaß für sinnvolle personelle Distanz, geht mit Bedeutung schwanger, deren Substanz sich hinterfragen ließe. Der einst im Body Horror heimische Mann scheint sich altersweise immer mehr dem geistigen Schrecken widmen zu wollen. Bloß hat er hier vergessen, daß selbst dazu eine gewisse Fleischlichkeit gehört. [Frank Blessin]

Originaltitel: COSMOPOLIS

Kanada/F 2012, 108 min
FSK 12
Verleih: Falcom

Genre: Literaturverfilmung, Drama

Darsteller: Robert Pattinson, Juliette Binoche, Samantha Morton, Paul Giamatti

Stab:
Regie: David Cronenberg
Drehbuch: David Cronenberg

Kinostart: 05.07.12