D 2015, 101 min
FSK 0
Verleih: Concorde

Genre: Drama

Darsteller: Katja Riemann, Barbara Sukowa, Matthias Habich, August Zirner, Karin Dor, Rüdiger Vogler, Tom Beck

Regie: Margarethe von Trotta

Kinostart: 07.05.15

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Die abhandene Welt

Vom Aufknacken und Herantasten

Daß Margarethe von Trotta eine der ganz großen Filmemacherinnen Deutschlands ist, wurde in den vergangenen Jahren vom männlich dominierten Feuilleton gern übersehen. Von Trotta hat das weggesteckt und beweist mit ihrem immerhin 24. Film ihre Sonderstellung im deutschen Kino. Es ist dabei einer ihrer persönlichsten Filme geworden, einer ihrer überraschendsten und fesselndsten außerdem.

Salopp könnte man frotzeln: Familie kann man sich nicht aussuchen. Die etwas hölzerne Weisheit des Volksmundes schwingt ein wenig neben dieser Geschichte über vage Vermutungen, streng gehütete Geheimnisse und schmerzlich aufbrechende Wahrheiten. Zuerst ist es nur ein Bild im Internet, das Paul Kromberger entdeckt. Die in den Staaten gefeierte Opernsängern Caterina Fabiani sieht seiner kürzlich verstorbenen Frau Evelyn verblüffend ähnlich, auch Pauls Tochter Sophie, eine derzeit eher erfolglose Jazzsängerin, ist erschrocken und läßt sich vom Vater überrumpeln, nach New York zu reisen. Die Begegnung mit Caterina ist frostig, abweisend bis arrogant. Vorerst. Den Einstieg in die Geschichte gestaltet von Trotta geschickt mit Thrillerelementen: Evelyn erscheint in Pauls Alpträumen, plötzlich liegen frische Blumen am Grab, Paul spricht mysteriös von Rache seiner verstorbenen Frau. Und als Sophie in New York entsprechend hartnäckig bleibt, drückt Caterina ihre Anrufe stur weg, Sophie schließlich besucht die Mutter von Caterina im Pflegeheim, um ihr ein Foto zu zeigen, worauf Rosa, die von einer umwerfenden Karin Dor gegeben wird, nur eine Reaktion kennt: „Evelyn. Meine geliebte Evelyn!“

Doch, das sorgt schon für Gänsehaut, und diese Schwebe, dieses Raunen und Andeuten sind probate Mittel, um behutsam, Schritt für Schritt, Verschwiegenes ans Licht zu bringen, emotionales Chitin aufknacken zu lassen und uralte Verschüttungen abzutragen. Und sicher, von Trotta läßt Caterina bewußt als Bellinis „Norma“ große Erfolge feiern – auch dies zarte Hinweise zu Spuren, die nach Rom führen, von Liebhabern, Zerrissenheit und leidensvoller Mutterliebe künden. DIE ABHANDENE WELT erzählt aus dem Jetzt von Vergangenem, von vergifteten Bruderbünden hin zu herantastenden Begegnungen. Dabei versteht sich das Erzählte auch als eine große Geschichte über tyrannische Liebe, über Trauer, Schwermut und Schicksal, wobei letzteres eben nicht aus dem Kitschbaukasten montiert wird, sondern sich vielmehr als faszinierendes Puzzle versteht. Von Trotta ist ein sinnlicher Film gelungen, der, da sie reichlich singen dürfen, auch über die schönen Stimmen von Barbara Sukowa und Katja Riemann besticht. Und über deren blaue Augen. Und übers Spiel sowieso. Toll zu sehen, wie von Trotta noch immer mit guten Schauspielerinnen kann, da fallen die Männer zwangsläufig ein wenig runter.

Am Rande wird aber auch von Deutschland erzählt, von Enge und Verklemmung. Während Sophie mit einer an Marianne Faithfull erinnernden Performance von Rodriguez’ „Sandrevan Lullaby“ von der Bühne einer hiesigen Hotelbar fliegt, beklatscht man sie spontan dafür in New York. So geht das. Und die Gefühlslage einer der Filmfiguren spiegelt sich in dem Friedrich Rückerts schaurig-schönen Gedicht entlehnten Filmtitel wider und steht neben tiefer Melancholie doch auch für ganz moderne Erschöpfung. Schließlich heißt es bei Rückert weiter: „Ich bin gestorben dem Weltgetümmel.“ Aber: Von Trotta hat sich und uns selbst Zeit für einen skurrilen Witz gegönnt, einen, der entsteht, wenn alte Männer ins Prügeln geraten. Vielleicht paßt das ja auch zu den anfangs erwähnten Feuilletonisten, die sich mindestens die Haare raufen werden, so häufig und wieder einmal geirrt zu haben.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.