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Ein ganz gewöhnlicher Jude

Lange Rede, kurzer Sinn

Ginge es tatsächlich um afrikanische Spitzmaulnashörner, mit denen sich Emanuel Goldfarb zu vergleichen beliebt, so ließe es sich leichter sprechen. Das Nachkriegskind Goldfarb ist nicht nur Hauptfigur. Er ist die (fast) einzige Figur in diesem Film, der aus einem einzigen Monolog besteht und schon deshalb ein treffender Kommentar zu einem stetig mißglückenden Dialog ist: mit "deutschen Juden", "jüdischen Deutschen", "Mitbürgern", "Nachbarn" - vor allem an den Gedenktagen liegen die Worte auf der Goldwaage.

Bei Goldfarb schlägt sie aus: "Ein herzliches Schalom" wünscht ihm der Sozialkundelehrer Gebhardt in seinem Brief, die freundliche Einladung für ein "Mitglied der jüdischen Gemeinde", mit aller gebotenen Feinfühligkeit. Und genau davon hat Goldfarb die Nase voll: von den gut gemeinten Vokabeln, den Samthandschuhen, dem "Lea-Rosh-Gesicht", wie er das nennt. Er will die Sonderrolle des letzten Spitzmaulnashorns nicht haben. Er will ein ganz gewöhnlicher Jude sein. Wie aber geht das zwischen Familienfotos, deren Geschichten immer in Auschwitz enden? Wie geht das als Ehemann, als Vater?

Den Text für Goldfarbs anderthalbstündige Geschichts-, Welt- und Selbstentrüstung, die sich abwechselnd ins Diktafon und in eine alte Schreibmaschine entlädt, hat der Schweizer Autor Charles Lewinsky geschrieben. Gelenkig turnt die Buchvorlage rhetorische Figuren von Witz bis Paradoxon aus, verbindet Spitzfindiges mit Zitaten, auch mancher Plattheit, bleibt zuvorderst also eine Frage des literarischen Geschmacks. Den größten Eindruck hinterläßt sie als empfindlicher Sprachseismograph, dem jedes Anführungszeichen verdächtig ist.

Bei Hirschbiegel - von seiner großfilmischen Bunker-Seifenoper DER UNTERGANG wollen wir lieber nicht sprechen - bekommt der Text nun eine schicke Hamburger Wohnung. Ein Zuhause aber ist es nicht. Wie in MEIN LETZTER FILM, der ähnlich reduziert eine Lebensbeichte abnahm, fehlt dem Monolog die Luft zwischen den Zeilen, das Atemholen zwischen Verletztsein und Angriff, vor allem aber ein überzeugender Sprecher, der anders als der gefühlige Kraftprotz Ben Becker eine historisch gewachsene Überempfindlichkeit artikulieren kann.

D 2005, 90 min
Verleih: NFP

Genre: Drama, Literaturverfilmung

Darsteller: Ben Becker

Stab:
Regie: Oliver Hirschbiegel
Drehbuch: Charles Lewinsky

Kinostart: 09.03.06

[ Sylvia Görke ]