Originaltitel: AU NOM DE MA FILLE

F/D 2015, 87 min
FSK 12
Verleih: Koch Films

Genre: Drama, Thriller

Darsteller: Daniel Auteuil, Sebastian Koch, Marie-Josée Croze, Christelle Cornil

Regie: Vincent Garenq

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Im Namen meiner Tochter

Wenn Blicke leben könnten!

Diese Blicke! Immer wieder diese Blicke! Da sind auch hinterhältige dabei, die mit Zu- und Abneigung jonglieren. Den Täter mag man plötzlich ein wenig und hofft, sein Verbrechen sei dann doch nicht so schlimm gewesen, vielleicht gar nur ein Irrtum. Oder: Könnte das Opfer nicht endlich seine unerbittliche Jagd nach der Wahrheit beenden? Endlich Frieden finden? Die Frauen erst! Wie lebt es sich an der Seite eines Vergewaltigers, wie an der eines Getriebenen? Wenn Blicke leben könnten!

IM NAMEN MEINER TOCHTER wird in knappen, am Ende nur konsequenten 87 Minuten zu einem Höhepunkt europäischer Schauspielkunst. Daniel Auteuil – endlich wieder mit einer echten Hauptrolle! Sebastian Koch – Schluß mit dem Sammeln nur sympathischer Bonuspunkte! Marie Josée Croze und Christelle Cornil – Landschaften im Gesicht! Und das in einem packenden Old-School-Drama, das der französische Regisseur Vincent Garenq nicht zum affektierten Justizthriller oder effekthaschenden Rachekrimi aufplustert. Das Zeug dazu hätte der Stoff, basierend auf tatsächlichen Fakten und Ereignissen, ohne Mühe.

Fast 30 Jahre lang hat André Bamberski gekämpft. So hingebungsvoll er seine Tochter Kalinka geliebt hat, so vehement ringt er um eine finale Verurteilung jenes Mannes, der sie auf dem Gewissen haben muß. Mit 14 stirbt Kalinka im Haus des Arztes Dieter Krombach, der mit Bamberskis Ex-Frau Dany in Lindau am Bodensee lebt. Die Umstände des Todes sind diffus und bleiben diffus. Schon bei der Autopsie der Leiche passieren Verfahrensfehler, die eine Odyssee bis in höchste juristische Etagen dreier Länder nach sich ziehen wird. Bamberski glaubt nicht an Krombachs Unschuld, strengt Verfahren um Verfahren an, wehrt sich gegen alle milden Zwischenurteile, die gesprochen oder eben nicht gesprochen werden, erzwingt unter anderem eine Exhumierung von Kalinkas Leiche, bei der sich herausstellen wird, daß ihre Geschlechtsorgane entfernt wurden. Brenzliger wird die Beweislage für eine Krombach-Anklage dadurch nicht. Erst andere Delikte, derer er bezichtigt wird und die deutliche Ähnlichkeiten zum „Fall Kalinka“ aufweisen, werden dafür sorgen, den deutschen Arzt in Frankreich hinter Gitter zu bringen.

So weit, so belegt! Optionen für eine Verfilmung hätte es genügend gegeben. Vincent Garenq entscheidet sich für die straffe, nüchterne Art. Er springt offensiv zwischen Jahrzehnten hin und her, läßt Bilder und eben Blicke pulsieren, verzichtet auf das Einführen von Nebenschauplätzen, verläßt nie seinen Protagonisten, dem er unbedingt gerecht werden will. Daniel Auteuil fordert er so auf extreme Art heraus, aber auch jene Figuren, die ihm nur temporär begegnen. Eben Krombach, den er nie zur Ruhe kommen läßt. Eben Dany, die Ex von beiden, die verdrängt, weil sie verdrängen muß. Eben Cécile, die neue Frau an Andrés Seite, dort, wo überhaupt kein Platz ist für echte Zweisamkeit. Denn André Bamberski hat sein Schicksal gefunden. Als Mann der Finanzen hat er das Geld dazu, als Vater sieht er darin seine Pflicht. Ziviler Ungehorsam treibt ihn anfangs nur dazu, Flugblätter in Lindau zu verteilen, die den Bürger Krombach bezichtigen. Am Ende ist es offene Selbstjustiz, und andere erledigen „den Job der französischen Justiz.“ Chapeau, André Bamberski! Chapeau, Daniel Auteuil!

[ Andreas Körner ]