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Irina Palm

Unter den Palmen von Soho - Schmutzige Gedanken und saubere Handarbeit

Großen Filmen gehen manchmal kleinliche Überlegungen voraus. Zum Beispiel, ob dieses Märchen von der Großmutter und dem bösen Sex eine Grenze überschreitet, die jenseits der Vorstellungskraft irgendwelcher Geldgeber liegt. Trotz solcher Vorbehalte hat sich Regisseur Sam Garbarski die Großzügigkeit bewahrt, seinen Zuschauern eine Frauenfigur zu schenken, die tragisch, komisch, aufreizend, hausbacken, pragmatisch, unscheinbar, mondän, einfach und einfach unvergeßlich ist - eine Londoner Vorortwitwe mit wettergerechter Windjacke, scheuem Blick und goldenen Händen.

Maggie heißt sie, ist Mutter, Oma, Hausfrau im Ruhestand, dem verstorbenen Gatten über den Tod hinaus verpflichtet - auch wenn sich der, wie man erfährt, zu Lebzeiten seinen Spaß bei der freundlichen Nachbarin holte. Besorgt besucht sie den Enkel im Krankenhaus, still verfolgt sie die Streitereien zwischen Sohn und Schwiegertochter. Es geht um Geld, das nicht da ist, aber so dringend für Ollys Operation gebraucht wird. Das Häuschen ist längst verkauft, für einen Job ist sie zu alt, wie man ihr sagt. Doch in der "Sexy World" von Soho wird eine "Hosteß" gesucht ...

Ahnungslos stellt sich Maggie in dem exklusiven Klub vor, wird von Boß Miki mit einschlägigen Handbewegungen auf das fremde Metier eingestimmt und kann doch erst vor der Wand mit dem schwanzgroßen Loch und dem Gleitgel auf dem Beistelltisch wirklich verstehen, wofür sie hier Geld bekommt. Nennen wir es "Palmen schütteln", weil Maggie jedes deutlichere Wort zum Erröten unangenehm wäre. Die sanften Hände bringen ihr den titelgebenden Künstlernamen, einen bösen Penisarm und schier unendliche Schlangen vor der Abfertigungsluke ein. Miki nimmt Kostproben - von Maggies Fingerfertigkeit und von ihrem Talent, neben den Hosen auch die Herzen zu öffnen. Das Gefühl, einmal in irgendetwas die Beste zu sein, macht sie unerwartet stark. "Here I Am, The Wanking Widow." So stopft Maggie den Nachbarinnen bei Tee und Gebäck gründlich die Schandmäuler.

Zwischen Rotlicht und Vorortdämmerung läßt Garbarski den Mond über Soho aufgehen. Mit stillem, auch romantischem Flackern leuchtet der einmal mehr eine Halbwelt mit ihren besonderen Formen von Zuneigung, Solidarität, Geschäftssinn und Arbeitsethos aus. Und für die verschämte Hausfrau auf dem schamlosen Weg in die Werktätigkeit findet er ganz spezielle, anrührende, komische und merkwürdig absurde Gedenkbilder: Porträtschnappschüsse mit Schürze, Bruststücke mit Pausenbrot und Blumenschmuck - alles für die Gemütlichkeit am Arbeitsplatz. Auf der anderen Seite der Wand bewegen sich Männer am Rande des Nervenzusammenbruchs, von oben bei der Verrichtung gefilmt, eine Gitarre gibt den Takt.

Garbarski erzählt eine Geschichte von Freude und Fleiß, in der sich das Harte und das Zarte ganz wunderbar die Waage halten. Gleich zwei unglaublichen Frauen kann man hier begegnen - der Titelheldin und Marianne Faithfull. Die Rock’n’Pop-Heroine mit der rauhen, unvergleichlichen Stimme ist nach Gastauftritten bei Godard oder Chéreau diesmal gekommen, um zu bleiben, einen ganzen Film lang. Aber sie will ihn nicht geschenkt. Sie erobert ihn - Filmmeter für Filmmeter, mit gesenktem Blick, watschelndem Gang und unheimlicher Tüchtigkeit.

Originaltitel: IRINA PALM

Belgien/F/D/GB/Luxemburg 2007, 103 min
Verleih: XVerleih

Genre: Tragikomödie

Darsteller: Marianne Faithfull, Miki Manojlovic, Kevin Bishop, Siobhán Hewlett, Corey Burke

Regie: Sam Garbarski

Kinostart: 14.06.07

[ Sylvia Görke ]