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Sweet Mud

Die verlorene Kindheit

Ein Kibbuz irgendwo im Süden Israels. Die Einwohner halten zusammen, wichtige Entscheidungen werden in Versammlungen getroffen, man feiert, liebt und lebt gemütlich. Wer doch mal unangenehm auffällt, wird bestraft, indem er von der Dorfältesten vorübergehend keine hausgemachte Marmelade mehr bekommt. Idylle pur.

Aber so rührend das klingt, so brutal ist die Wirklichkeit. Denn hier herrschen auch strenge Regeln: Kinder müssen ihr Erwachsenwerden mit vielerlei Aufgaben unter Beweis stellen, das Kollektiv schottet sich ab, Fremde sind nicht gern gesehen, Andersdenkende unerwünscht. Das erfährt Dvir, ein kleiner Junge, schmerzlich am eigenen Leib, als er erkennt, daß seine Mutter Miri psychisch krank ist, den Anforderungen nicht genügt und somit seitens der anderen Gemeindemitglieder keine Hilfe zu erwarten hat. Doch kann sich ein 12jähriger gegen die Restriktionen auflehnen?

Man ahnt, wie unmöglich ein solches Ansinnen ist, die Tragödie scheint demnach unausweichlich. Und tatsächlich zerreißt es einem schier das Herz, mit anzusehen, was Dvir alles unternimmt, um Miri zu helfen, die Unterstützung des Dorfes einzufordern, während sich klassische Rollenbilder vertauschen. Schließlich sollte es ja die Mutter sein, welche sich um ihren halbwüchsigen Sohn kümmert, auf dessen Schultern hier eine Verantwortung ruht, welcher er kaum gewachsen sein kann, die ihm seine Kindheit raubt. Doch nicht Verbitterung oder die zynische Montage einer Gemeinschaft stehen im Mittelpunkt, nie läßt sich SWEET MUD zu einseitiger Kritik herab.

Vielmehr geht es um den harten und leidvollen Prozeß der Selbstfindung, eine Liebe über alle Hemmnisse hinweg, das Loslassen und letztlich die universelle Frage, welche Entscheidungen man treffen kann, soll und muß, um seine Menschlichkeit zu bewahren. Da genügt es, die authentische Figurenzeichnung oder phänomenalen Darstellerleistungen als Randnotiz zu erwähnen, dieser unglaublich aufwühlende, in seiner Wirkung gar unvergeßliche Film gehört auch ohne sie zum Stärksten und nicht zuletzt emotional Extremsten, was man anno 2008 im Kino zu sehen bekam und noch bekommen wird.

Und so fließen sie, wenn am Ende ein Gedicht die Handlung beschließt, dann doch – die Tränen, derer man sich wirklich nicht zu schämen braucht.

Originaltitel: ADAMA MESHUGA’AT

Israel/D/F/J 2006, 97 min
Verleih: W-film

Genre: Drama, Literaturverfilmung

Darsteller: Tomer Steinhof, Ronit Yudkevitch, Henri Garcin, Shai Avivi, Gal Zaid

Stab:
Regie: Dror Shaul
Drehbuch: Dror Shaul

Kinostart: 07.08.08

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...