Originaltitel: 12 YEARS A SLAVE

USA 2013, 135 min
FSK 12
Verleih: Tobis

Genre: Drama, Historie

Darsteller: Chiwetel Ejiofor, Michael Fassbender, Benedict Cumberbatch, Paul Dano, Brad Pitt, Paul Giamatti, Lupita Nyongo

Regie: Steve McQueen

Kinostart: 16.01.14

34 Bewertungen

12 Years A Slave

Über das Brechen von Knochen und Seelen hinweg – ein meisterliches Kinopoem

Ein Film wie ein Faustschlag. Kraftvoll, wütend, in die Knie zwingend. Dazu episch, aufwühlend, den Hals zuschnürend. Poetisch, anklagend und mit wütender Brust. Und zum Glück nicht von Steven Spielberg. Das muß nicht falsch verstanden werden, doch ein Filmemacher wie Steve McQueen unterscheidet sich vom generell geschätzten Regieveteran durchaus in der behutsameren Dosis an Sentiment und emotionaler Lenkung, ohne es dabei an Empathie fehlen zu lassen. McQueen erzählt von einem kämpfenden Mann, an Heldengeschichte denkt man dabei aber eben nicht. Das ist wohl der Unterschied. Doch worum geht es überhaupt?

Am Anfang steht ein Satz: „Ich war ein freier Mann!“ Solomon Northup spricht ihn aus, ein gutsituierter Mann ist er außerdem, einer, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Staate New York lebt, den Hut zum Gruße lüftet, eine schöne Frau und zwei wohlgeratene Kinder an seiner Seite hat, und der ganz ordentlich auf der Geige spielen kann. Letztere Fähigkeit wird ihm zum Verhängnis: Nach einem spontanen Engagement läßt sich Solomon zu einem Essen überreden, kurz darauf wacht er auf – in Ketten gelegt.

Der Beginn einer, wenn sie sich nicht tatsächlich so ähnlich zugetragen hätte, schier unglaublichen Odyssee, einer Blutreise, die sich mit Worten kaum beschreiben läßt. Solomons Protest wird überhört und niedergeprügelt, seine Mitgefangenen auf dem Sklavenschiff raten ihm zu schweigen, wenn er nicht totgeschlagen werden will. Die Stationen sind: die Zuckerrohr-ernte, wo man sie mit „Ihr seid also die neuen Nigger!“ begrüßt, das Haus eines Sklavenhändlers, in dem Familien verhökert, auseinandergerissen, gedemütigt werden, wobei Zahnstand, Muskelmasse und Körpergröße zynische Verkaufsargumente sind. Hier gelangt Solomon schließlich an den Plantagenbesitzer William Ford. Für einen, der Sklaven beschäftigt, verhält sich Ford geradezu anständig, einer seiner Arbeiter indes provoziert und attackiert Solomon aufs Heftigste. Ford muß ihn zum Selbstschutz weiterverkaufen, und was jetzt auf den bereits mehr als genug gepeinigten, einst so anerkannten Mann zukommt, ist mit Hölle zu sanft umrissen: Wir lernen Edward Epps kennen – Folterer, Sadist, Psychopath, Vergewaltiger.

Steve McQueen ist gottlob keiner, der durch Lebensgeschichten rennt: Er schaut in die gequälten Gesichter, zeigt, wie Tränen verdrückt werden, erkennt hinter den Stirnen der Malträtierten noch immer ein Fünkchen Stolz. Ihm geht es nicht um das kalkulierte Bild. Er taucht ein in den Alltag der Sklaven und erzählt dabei so nah dran, daß es oft kaum zum Aushalten scheint. Dabei sind es viele Fragen, die sich einem stellen, während und – ein Indiz für die anhaltende Wucht der Geschichte – vor allem im Nachgang des Films. Warum tun Menschen so etwas? Was veranlaßt jemanden, sich derart über andere zu stellen? Warum schlägt man auf Rücken ein und schlitzt Gesichter auf, weshalb macht man anständige Menschen zu Namenlosen, warum nimmt man einer Frau die Kinder, und wie um Himmels willen schaffen es Sätze wie dieser aus einem Mund: „Prügel ihr das Leben aus dem Leib!“

Und auch wenn McQueens meisterliches Werk ein wahrhaft großer Film über den Zustand des Verzweifelns, über himmelschreiende Unmenschlichkeit und moralische Degeneration ist, er gerät niemals zur Jammerei. McQueen läßt letztendlich nicht zu, daß das Häßliche über die Schönheit, das Verkommene über das Humanistische, das Kümmerliche über das Ehrenwerte siegt. Denn auch wenn er – konsequent ist McQueen ja bereits in seinen so ganz anders geratenen Vorgängerfilmen HUNGER und SHAME gewesen – draufhält, nichts verschönt, den gewaltsamen Tod und das Brechen von Knochen und Seelen nicht ausblendet, er glaubt an die Menschlichkeit. Und so sind es gerade die Szenen, in denen Patsey, Anne, Alonzo und Margaret in Anbetracht dieses grausamen Lebens noch immer zu Gott singen, gar anstimmen, daß der Mensch nicht böse sei, in denen man die Geschändeten nicht bemitleidet, sondern bewundert. Szenen, die einen auf ganz eigene Art beschämen. Und selbst ein gebildeter und nicht per se gottesgläubiger Mann wie Solomon, der sich sträubt, wehrt, verweigert, wird Kraft finden, wenn er den Joshua-River besingt, er wird dann auch die Stärke haben zu weinen. Endlich. So ist er für einen ganz kurzen Moment nicht allein. Dieses Bild eines Entkommens, raus aus einer unbeschreiblichen Trostlosigkeit, läßt einen nicht mehr los.

McQueen versteht es, so dicht, so intensiv, so unerbittlich zu erzählen, daß sich beim Zuschauer Wahrnehmungsgrenzen und Anstandshorizonte verschieben. So weit sogar, daß man sich innig wünscht, als der in einer diabolischen Grandezza das Ur-Böse ausspielende Michael Fassbender ergo Epps Solomon zur Folter des Mädchens Patsey antreibt: Mensch, hätte Solomon dem Mädchen kürzlich doch nur diesen einen einzigen bitteren Wunsch erfüllt.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.