Originaltitel: O AGENTE SECRETO

Brasilen/F/NL/D 2025, 160 min
FSK 12
Verleih: Port au Prince

Genre: Drama, Thriller, Polit

Darsteller: Wagner Moura, Maria Fernanda Candido, Gabriel Leone

Regie: Kleber Mendonça Filho

Kinostart: 06.11.25

3 Bewertungen

The Secret Agent

Im Spinnennetz

Von 1964 bis 1985 herrschte in Brasilien die Militärdiktatur. Was indes kein Grund war, sich ständig die Lebensfreude verderben zu lassen. Oder auf den Karneval zu verzichten, wenn denn eben Karnevalszeit war. Tradition ist schließlich Tradition. Und gerade Diktaturen haben es ja bekanntlich mit der Tradition. Die dann freilich ganz traditionell schnell auch mal ein paar Leben kostet. Im Namen oder auch unterm Deckmantel der ausgelassenen Lebensfreude sozusagen. Und es gehört sicher zu einem der sarkastischsten Motive in Kleber Mendonça Filhos sarkasmussatten Film THE SECRET AGENT, wie darin ganz nebenher der jeweils neueste Opferzahlenstand der aktuellen Karnevalssaison in die Handlung eingeflochten wird. 92 Tote sind es. Also, zu Beginn.

Die Statistik wird sich optimieren in den zweieinhalb Stunden, die THE SECRET AGENT dauert. Ins Jahr 1977 und nach Recife, Küstenmetropole im Nordosten des Landes, führt die Geschichte. In deren Mittelpunkt steht Elektroingenieur Armando. Wobei „Mittelpunkt“ hier auch das Zentrum eines Spinnennetzes meinen könnte, in dem Armando zappelt und aus dem er sich befreien will. Gemeinsam mit seinem kleinen Sohn, der seit dem Tod von Armandos Frau bei den Großeltern lebt. Und mit Hilfe einer leicht obskuren und sehr geheimen Hilfsorganisation.

Daß Armando da schon zwei Killer im Nacken sitzen, die wiederum gute Kontakte zu Dr. Euclides, dem Polizeichef von Recife, haben, der seinerseits gleich einem Mafioso mit seinen Mannen im staatlichen „Identitätsinstitut“ der Stadt haust, in dem dann bald auch Armando unter falscher Identität arbeitend nach der wahren Identität seiner ihm unbekannten Mutter sucht, läßt ahnen, daß THE SECRET AGENT mitnichten ist, was er auf den ersten Blick eventuell zu sein scheint: ein Politthriller im traditionellen Sinne. Oder gar ein Film stringenter Handlungsabfolge.

Was Mendonça Filho dem Publikum stattdessen schenkt oder auch zumutet, ist eine Geschichte in einer Geschichte in einer Geschichte. Ein Spinnennetz des Erzählens und Fabulierens, in dem sich Zeitebenen überlagern und Motive bis hinein in die jüngste Gegenwart reichen. Das zu sehen, erfordert fraglos Konzentration, die aber ebenso fraglos belohnt wird. Mit erstklassigem Schauspiel, formvollendet montierten Cinemascope-Bildern, mit makaber schönen Szeneneinschüben und mit einem illusions-, aber nicht hoffnungslosen politischen Sittengemälde.

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.

The Secret Agent ab heute im Kino in Leipzig