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17 Mädchen

... haben einen Traum

Keine will die erste sein – ärztliche Gruppenuntersuchung bei den Mädchen an einer französischen Schule. Als Camille schließlich dran ist, sie sich bereits wieder anzieht, platzt es aus ihr raus: Je crois que je suis enceinte. Was heißt platzen: Ganz ruhig erzählt sie vom Verdacht, schwanger zu sein. Geschockt sind die anderen: die wißbegierigen und doch loyalen Freundinnen, ihre tobende Mutter, die Schulkrankenschwester. Camille bleibt fast gelassen, dazu passen der blaue bretonische Himmel, die wogende See, die kreischenden Möwen.

Eine etwas schräge Idylle in der Tat, aber dieses Bild weist auf eine Entscheidung voraus: Camille wird nicht abtreiben. Ganz im Gegenteil: Ein wenig naiv und doch in berückender Kühnheit erzählt sie von einem Leben mit 200% – auf der einen Seite die Schule, auf der anderen das Baby. Ihre Schulfreundinnen sichern ihr Unterstützung zu, doch sie lauschen ihren Ausführungen zu gespannt, als das nicht noch was kommen sollte. Und es kommt! Ein Plan nämlich, ein auf den ersten Blick gänzlich absurder, auf einen zweiten ein in jedem Fall abenteuerlicher und zweifelsfrei ein bestaunenswerter: „Wie wäre es, wenn wir alle schwanger würden?“ Da muß man erst einmal durchatmen ob dieser – ja – Lässigkeit, mit der eine solche folgenschwere Idee herauspurzelt, da muß man erst einmal schlucken, weil natürlich – wie bei Camilles Mutter – der Sorgenreflex ausschlägt: Gut überlegt? Und ist es nicht schon schwer genug?

Doch genau darum geht es im Film der Coulin-Schwestern nicht, ihre Heldinnen sind Teenager, da wird nicht alles zu Ende gedacht, das soll es auch nicht. Denn hier wird von nicht weniger als einer Revolte berichtet. Das Kaff Lorient wird Austragungsort einer Nouvelle Vague der Selbstbestimmung, eines Appells an eine nicht fremdverwaltete Körperlichkeit, und ohne pädagogische Keule wird darauf hingewiesen, daß es zumindest ein Ziel ist, wenn man beschließt, schwanger zu werden, zumal in einer Region, wo man sich nicht unbedingt vor Perspektiven retten muß.

Natürlich ist diese Geschichte so absurd, daß sie in der Tat nur vom Leben selbst geschrieben werden konnte, denn 17 MÄDCHEN basiert auf Vorkommnissen in der amerikanischen Provinz. Zum teils frechen Selbstverständnis der Mädchen paßt auch der humorvolle Grundton des Films, regelrecht – pardon! – bauchhaltend komisch wird es, wenn sie sich im Troß Schwangerschaftstests erklären lassen, listig nach der mehrfachen Nutzung dieser fragen und dann spontan fordern: „Wir nehmen mal zwölf Stück!“ Verheimlicht wird indes nicht, daß nicht für jede der Halbwüchsigen dieses letztendlich eben doch ergebnisoffene Experiment, und als solches muß man die Entscheidung, so jung ein Kind zu haben, wohl generell bezeichnen, gut ausgeht. Clementines Vater beispielsweise droht seiner Tochter erst mit Prügel, schließlich mit Zwangsabort. Eine lustige Karussellfahrt sieht anders aus.

Die Coulins sind gut beraten, die Waage aus komischen Einsprengseln und aus wirklich lebensbedrohlichen Sentenzen zu halten, denn allen Schwüren der Jugend zum Trotz: Am Ende ist jeder allein. Egal, ob in Lorient oder in Massachusetts, egal, ob schwanger oder einfach nur auf Sinnsuche. Aber, und das könnte eine Botschaft des Films sein, der sich indes nicht missionarisch gibt, die Mädchen unterscheiden sich immerhin von der Masse, indem sie etwas haben, was heute vielen abgeht: einen Traum.

Originaltitel: 17 FILLES

F 2011, 88 min
FSK 12
Verleih: Arsenal

Genre: Tragikomödie, Erwachsenwerden

Darsteller: Louise Grinberg, Roxane Duran

Regie: Delphine und Muriel Coulin

Kinostart: 14.06.12

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.