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Berlin ’36

Folklore vom strammen Moralismus

Die Amerikaner drohen 1936 die Olympischen Spiele in Berlin zu boykottieren, sollten im deutschen Olympiakader keine jüdischen Sportler vertreten sein. Da knirscht der Reichssportführer mit den Zähnen, aber da nun für ein, zwei Jahre der Anschein von Deutschland als zivilisierter Kulturnation noch erhalten bleiben muß, wird die Jüdin Gretel Bergmann, eine versierte Hochspringerin, die sich eigentlich schon nach England abgesetzt hatte, heim ins Reich geholt. Der Plan dahinter: Antreten soll sie, diese Jüdin, aber gefälligst nicht gewinnen. Im Trainingslager hat Gretel deshalb nicht nur Schikanen zu ertragen, sondern bekommt auch noch Hauptkonkurrentin Marie als Zimmergenossin. Auch die eine Außenseiterin, die zudem ein schwerwiegendes Geheimnis birgt.

Und wieder einmal: wahre Ereignisse. BERLIN ’36 fußt auf den Erinnerungen der jüdischen Hochspringerin Gretel Bergmann, inzwischen eine nette alte Dame, die am Ende des Films dann auch noch mal in die Kamera sprechen darf. Wie der Notar bei den Lottozahlen, als vorgeführte Gewähr, daß hier auch alles mit rechten Dingen zugeht … Man merkt mittlerweile offensichtlich schon gar nicht mehr, wie abgeschmackt das ist. Dabei ist BERLIN ’36 vor allem ein Film, der so klebrig wohlmeinend daherkommt, daß es einen fast peinlich berührt. Auch, weil man keine Sekunde spürt, daß den Film wirklich interessiert, was er da erzählt. Etwas Wurstiges haftet dem Ganzen an. Man achte nur mal darauf, wie die Hochsprungszenen gefilmt und geschnitten sind. Man möchte fast fragen: Darf man das noch so im Jahr 2009?

Dabei krankt der Film nicht nur an der Regie Kaspar Heidelbachs. Das Problem beginnt ganz offensichtlich schon beim Drehbuch Lothar Kurzawas. Böse Deutsche und rechtschaffene Deutsche treffen auf mutige Juden und ängstliche Juden. Woraufhin die Dialoge die leblose Folklore eines sehr deutschen, gewissermaßen strammstehenden Moralismus singen. Es ist eine Zumutung, tolle Schauspieler wie Axel Prahl (rechtschaffener Deutscher), Thomas Thieme (böser Deutscher), August Zirner (ängstlicher Jude) und Karoline Herfurth (Gretel, also mutige Jüdin) in latenter Unterforderung zu sehen.

Eine gänzlich unglückliche Figur macht dabei indes Sebastian Urzendowsky als Marie Kettler. Ja, richtig gelesen! Das Mädchen, das ein Junge war, der gerne ein Mädchen sein wollte oder sollte – nicht, daß das kein toller Filmstoff wäre. Für gute Autoren und Regisseure! Die Schauspieler haben wir.

D 2009, 95 min
Verleih: X Verleih

Genre: Drama, Biographie

Darsteller: Karoline Herfurth, Sebastian Urzendowsky, Axel Prahl

Regie: Kaspar Heidelbach

Kinostart: 01.10.09

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.