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Dallas Buyers Club

Respekt, Vertrauen, Können

AIDS? Kein heißes Thema mehr und ein Film über AIDS fast schon ein Historienfilm. So der Tenor, mit dem Produzentin Robbie Brenner von diversen Hollywood-Studios abgebügelt wurde. Klar, Klinkenputzen gehört dazu, aber über ein derart rigides Urteil hatte sich Brenner dann doch gewundert. Denn jeder, der das Drehbuch, mit dem sie hausieren ging, gelesen hatte, müßte doch – so er denn richtig lesen kann – merken, daß das Script zu DALLAS BUYERS CLUB durchaus ein „heißes“ Thema hat und alles andere als „historisch“ ist.

Matthew McConaughey, dem Brenner das Drehbuch schickte, begriff es. Womit der Kerl nicht nur der Schauspieler ist, den man einst zu schnell als seichten Hollywoodschnösel abkanzelte, sondern offenbar auch einer, der lesen kann. Erfassend, was eine starke Geschichte ist. Eine wie DALLAS BUYERS CLUB eben.

Ron Woodroof ist Texaner, Rodeo-Cowboy und ein Kotzbrocken. Suff, Koks, Frauen, Bullenreiten – seine chauvinistische White-Trash-Welt eines festgezurrten Wertegefüges schlichter Art. Eine Klopperei gehört da gelegentlich auch dazu, und nach einer solchen landet Ron im Krankenhaus. Normaler Bullshit. Bis bei der Untersuchung Ron positiv auf HIV getestet wird. Die Ärzte geben ihm noch 30 Tage Lebenszeit.

Ins Jahr 1985 führt diese Geschichte, die auf wahren Ereignissen beruht und insofern tatsächlich „historisch“ ist. Damals, als AIDS noch die „Schwulenkrankheit“ war, deren eines Symptom, brutalste soziale Ächtung, auch Ron am eigenen Leibe erfahren wird. Bitter, wie auch die Allianz zwischen Pharmaindustrie und Gesundheitsbehörde, die in Monopolstellung das einzig legale Medikament AZT verwalten. Ein Medikament, das indes mehr schadet als nützt.

So weit, so deprimierend. Doch markiert das ja erst die Exposition, aus der heraus Ron sich trotz aller charakterlichen Defizite als der Typ entpuppt, der, wenn schon, dann in seinen Stiefeln stirbt. Der völlig zu Recht, wie sich bald erweist, auf ärztliche Voraussagen pfeift, seinen Redneck-Kumpanen den Finger zeigt oder auch in die Fresse haut und den Herren von Staat und Kapital den Kampf ansagt. Mit einem illegalen Medikamentenhandel, den der homophobe Ron just mit dem schwulen Rayon aufzuziehen beginnt. Womit DALLAS BUYERS CLUB richtig in Fahrt kommt. Im Tenor gemessen wie ein Western (einer geht unbeirrbar seinen Weg), dabei zugleich hochdramatisch. Krankheit, Tod, Schikanen der Behörden, die Macht der Pharmaindustrie – Ron und Rayon haben mit einigem zu kämpfen. Doch ist da zunehmend auch Solidarität, ein wachsender Respekt füreinander, Freundschaft sogar. Und ihr Unternehmen, der Dallas Buyers Club, vor dessen räudiger Filiale die Infizierten bald Schlange stehen.

Nichts davon gerät Regisseur Jean-Marc Vallée zum Rühr- und Klagestück. Symptomatisch: Immer, wenn es emotional wird (und es wird verdammt emotional) vermeidet der Film Musik, geht die Kamera auf Distanz, ist das Licht schmucklos. Dieser Verzicht auf Gefühlsverstärker hat nicht nur etwas mit Können zu tun, sondern mit Respekt und Vertrauen. Gerade auch in die durchweg fabelhaften Schauspieler. Allen voran McConaughey, der Schönling aus Texas, der mit der Rolle seines gar nicht schönen Texaners in der Liga erstklassiger Charakterdarsteller angelangt ist.

Originaltitel: DALLAS BUYERS CLUB

USA 2013, 117 min
FSK 12
Verleih: Ascot

Genre: Drama, Biographie

Darsteller: Matthew McConaughey, Jennifer Garner, Jared Leto

Regie: Jean-Marc Vallée

Kinostart: 06.02.14

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.