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Der Hals der Giraffe

Verlorene Wurzeln, geklauter Großvater

Wenn im Film verreist wird, und tatsächlich kommt das häufiger vor, sind geographische Ziele meistens Nebensache. Es ist DIE große Metapher fürs Fort- und Weiterkommen, für das Zu-sich-finden sowieso. Regisseur Safy Nebbou fängt klein an: mit einer Autofahrt durch Paris, unter Eisenbahnbrücken hindurch, links rum, rechts rum, ein Zebrastreifen, ein Tor. Klein geht es weiter, denn die Neunjährige, die sich diese Strecke vom Rücksitz aus einprägt, ist die Hauptfigur. Mathildes Perspektive bestimmt den maßvollen Ton des Films, und weil sie selbst so klein ist, bleibt auch die Tragik ihrer Geschichte maßvoll.

Mit dem auswendig gelernten Weg zum Altersheim, in dem der Großvater lebt, hat Mathilde dessen Entführung vorbereitet. Nachts, zu Fuß und mit einem alten Brief im Gepäck besucht sie Paul und erreicht mit kindlichem Trotz, daß er sie begleitet. Gemeinsam, sie voller Sehnsucht, er voller Angst, machen sie sich auf die Suche nach der Großmutter. Warum sie Paul vor vielen Jahren verließ, warum sie vor allem nie wieder kam, ist dem Opa schwer zu entlocken. Während es vorwärts in die Vergangenheit geht, während Mathildes Mutter ihnen auf den Fersen ist und dann ein paar Wahrheiten einfordert, stehen die Kollegen im Altenheim Schmiere, damit der flüchtige Paul nicht auffliegt.

Paris? Biarritz? Spanien? Von wegen. Wieder einmal haben wir unsere sieben Sachen gepackt, sind brav in Züge und Taxis gestiegen und dann doch nur einen Katzensprung unterwegs gewesen. Denn hier sucht der eine den anderen und findet ihn direkt neben sich. Etwas ernster, als eine Tragikomödie erlaubt, etwas unspektakulärer, als man hoffen konnte und in Bild und Gefühl etwas zu kultiviert arrangiert, stopft Nebbou behutsam die Löcher seiner Familiengeschichte.

Daß Darsteller wie Sandrine Bonnaire und Claude Rich, den man hier als sich langsam öffnenden alten Herrn wieder und neu entdecken kann, dabei von Louisa Pilis Kinderaugen beinahe an die Wand geguckt werden, ist bei dieser Figurenkonstellation wohl unausweichlich. Doch der kindliche Blick, immer ein wenig staunend nach vorn und nach oben gerichtet, ist hier die Zauberformel, mit der sich verlorene Zeit einholen läßt. Fast zumindest.

Originaltitel: LE COU DE LA GIRAFE

F/Belgien 2004, 84 min
Verleih: Schwarz-Weiß

Genre: Tragikomödie, Erwachsenwerden

Darsteller: Sandrine Bonnaire, Claude Rich, Louisa Pili

Stab:
Regie: Safy Nebbou
Drehbuch: Safy Nebbou

Kinostart: 17.08.06

[ Sylvia Görke ]