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Die Erde von oben

Du bist schön von hinten ...

... aus ein paar Metern Entfernung. So die bekannte Textzeile von Stereo Total über das Ende der festen Beziehung. Sie ließe sich mit Renaud Delourme auf das Verhältnis Mensch-Erde übertragen. Sein Film, kein Dokumentarfilm, eher ein merkwürdig verkorkster Leinwand-Essay, dreht sich um den prekären Zustand des blauen Planeten, nach der Entfremdung des Menschen durch die Zivilisation, und sammelt Beweise in der Fotografie, namentlich bei Yann Arthus-Bertrands.

Im gleichnamigen Bildband "Die Erde von oben" hat der Fotograf in beeindruckenden Luftaufnahmen gezeigt, wie die Erdoberfläche gestrickt ist. Die Struktur erscheint nicht nur schön, sondern zugleich oft seltsam. In vielen Fällen ist sie schon nicht mehr naturbelassen. Egal, ob die terrassenförmigen Reisfelder von Bali oder eine europäische Siedlungsschlange abgelichtet wurden, das Buch, mittlerweile ein Kassenschlager, betrachtet das Szenario mit gleichem Interesse und aus der gleichen Distanz, quasi als eine fotografische Vision von Einewelt.

Kann man das verfilmen? Allein der Gedanke ist absurd, regt doch jedes der Fotos zur betrachtenden Versenkung an. Für den Film kehrt Delourme das Betrachtungs-Prinzip einfach um. Er zeigt nämlich nichts anderes als diese Bilder, genaugenommen also abgefilmte Fotografie, wobei Zoom und Kamerafahrten nun aus den Details die Zusammenhänge erschließen. Weiterhin wird versucht, die Fotos in einen Erlebnisbericht zu übersetzen, durch die Unterlegung passender Geräusche und Musikfetzen, was die Phantasie allerdings eher zum Erliegen bringt. Dazu noch ein pseudo-philosophischer Diskurs. Wir lauschen dem Gespräch zwischen Vater und Sohn, in dem gerne der fliegende Poet Antoine de Saint-Exupéry bemüht wird, und der im Großen und Ganzen ohne Informationsgehalt ist.

In verschiedenen Kapiteln geht es um Genesis, Chaos und Ordnung und andere Themen, die schließlich in der direkten Anklage münden: "Die Zivilisation ist gescheitert". Als Beleg: Bilder von Brandrodung, ausgetrockneten Wüstenböden oder zerstörten Dörfern. Die Auswahl der Bilder erscheint jedoch im Laufe des Filmes immer beliebiger, und der Appell, Verantwortung für unseren Planeten zu übernehmen, dessen Teil wir sind, ist zwar richtig, aber irgendwie an der falschen Stelle. Dann doch lieber zum Bildband greifen.

Originaltitel: LA TERRE VUE DU CIEL

F 2004, 67 min
Verleih: Stardust

Genre: Natur, Dokumentation

Regie: Renaud Delourme

Kinostart: 05.10.06

[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...