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Du sollst nicht lieben

Ein richtiges Gefühl am falschen Ort

Die Kraftanstrengung ist groß. Aaron versucht mit enormer Wucht, das blecherne Schutztor zum verlassenen Geschäft zu öffnen. Hier war sein Vater bis zu dessen Tod als Fleischer tätig. Dieser Kraftakt könnte symbolisch sein und herhalten für eine noch größere Anstrengung, nämlich die, glücklich zu sein. Oder lebendig zu sein, wie es Aaron später ausdrücken wird.

Daß er diese Vitalität kurz nach der Geschäftsaufnahme wieder spürt, daß er endlich einmal herausgerissen wird aus seinem Alltag zwischen Frau, vier Kindern, Wursttheke und ultra-orthodoxer Glaubensgemeinde mitten in Jerusalem, liegt an einem Mann, der aus dem Regen kam. So urplötzlich scheint es nämlich, als der attraktive Ezri eines Tages im Laden Aarons steht, kurz telefonieren will und schließlich länger bleiben wird. Schon die ersten Blicke zwischen den so verschiedenen Männern sind fragend, begehrend, voller Lust und bei Aaron auch voller Angst – doch erst einmal herrscht er den jüngeren Mann an, um ihm dann offenen Mundes nachzustaunen.

Dies ist der Auftakt zu einer richtigen Liebe am falschen Ort, zu einem Gefühlsbekenntnis, dem ein falsch verstandenes Glaubensverständnis in die Beine fährt. Ezri und Aaron werden zunächst Kollegen im Laden des Älteren, schließlich Freunde, die einen gemeinsamen Ausflug mit einem eiskalten Tauchbad unternehmen, und dann Liebende, die im Kühlhaus übereinander herfallen. Zuvor hatte Aaron den Jungen gebeten, alles im Zügel zu halten. Das sei ihre Aufgabe. Aaron, tief verwurzelt in der strengen Gemeinde, wußte einfach, was sein darf und mehr noch, was nicht. Es sind vor allem die jungen Juden, die zuerst Gerüchte verbreiten und schließlich Flugblätter im Viertel streuen, die vor einem Sünder in der Nachbarschaft warnen. Den noch anonymen verbalen Drohungen folgen direkte Auseinandersetzungen, die Angst vor Ladenboykott und Gemeindeausschluß schüren sollen. Später wird dann auch geprügelt ...

Doch! Dazu gehört Mut, überhaupt und derart von einer leidenschaftlichen schwulen Liebe in einem dafür renitenten Gefüge zu erzählen, wie es der noch recht junge Regisseur und Langfilmdebütant Haim Tabakman tut. In seiner sprachlich, dramaturgisch und perspektivisch reduzierten Erzählform hat er die Chuzpe, von gegensätzlichen Polen zu berichten: ein Familienvater und ein Streuner, eine offen gelebte Liebe und eine anti-liberal eingestellte Gemeinde, eine vitale Regung und ein Todesurteil, ein Befreiungsschlag und die Tora.

Tabakman erzählt konzentriert, dicht und still von einem – im Inneren – lauten Gefühl, einer wahren, wenn auch kurzen Liebe. Er tut dies mit aller fürs Kino notwendigen Echtheit, die eben auch bis über den Tod reichen muß. Und die sich an Lügen und Verlogenheit reiben wird, denn es ist am Ende doch nur Text, wenn ein Kreis vermeintlich aufgeklärter Juden zusammenhockt und den Spruch „Der Herr sagt, Du sollst nicht leiden ...“ zitiert.

Kein Wort zu viel, keine filmmusikalische Note zu empathisch, Tabakman versteht sich meisterlich auf das Konzentrat einer nahegehenden Geschichte. Und um so intensiver klagt er an: Eine intolerante, fundamentalistisch eingestellte Gesellschaft zwingt zum Versteck, lebt die Verlogenheit und deformiert damit den Menschen. Ein kluger Schachzug also von Tabakman, daß er eine Randfigur einführt, die schon vor der Begegnung Aarons und Ezrins ins Visier der Glaubenswächter geriet, nur weil die schöne Sarah einen anderen liebt, als man ihr aufbestimmte. Und da entpuppt sich Aaron selbst als schwacher Mensch, der droht, weil er sich vor der eigenen Anklage bereits fürchtet. Ein Teufelskreis, der diesen so kurz und leidenschaftlich liebenden Menschen dort enden läßt, wo er einst einen tollen Moment an der Seite des baldigen Geliebten erlebte.

Originaltitel: EINAYM PKUHOT

Israel/F/D 2009, 90 min
FSK 16
Verleih: Salzgeber

Genre: Schwul-Lesbisch, Liebe, Drama

Darsteller: Zohar Shtrauss, Ran Danker

Regie: Haim Tabakman

Kinostart: 27.05.10

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.