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For Ellen

Berührende Vaterwerdung eines großen Kindes

Joby Taylor ist ein Rockstar. Oder zumindest hält er sich für einen. Mit seiner Band hat er ein erfolgreiches Debüt hingelegt, seitdem allerdings nicht mehr viel auf die Reihe gekriegt. Am wenigsten seine Ehe, zu deren offizieller Annullierung er nun ins kleinstädtische Upstate New York heimkehrt. Joby ist noch jung, wirkt aber in seiner geistigen Umnebelung und Alltagsverlorenheit mitunter schon wie ein abgehalftertes, altes Drogenwrack à la Ozzy Osbourne. Als er etwa den Scheidungsvertrag vor sich hat, den er eigentlich gründlich gelesen haben müßte, ist Joby erstaunt: Danach soll er das Sorgerecht für seine kleine Tochter Ellen abtreten, um die er sich anscheinend zuvor nie gekümmert hat. Sehr zur Scham seines jungen Anwalts will Joby plötzlich nicht mehr unterschreiben und erbittet sich Bedenkzeit. Und ein Treffen mit seiner kleinen Tochter, das alles verändern wird.

Regisseurin So Yong Kim bewies bereits mit ihrem Debüt TREELESS MOUNTAIN, wie feinfühlig und authentisch sie gestörte Eltern-Kind-Beziehungen bebildern kann. So sind es auch hier die beiden Szenen zwischen Joby und seiner entfremdeten Tochter Ellen, die das Herzstück dieses berührenden Dramas bilden. Allerdings überrascht So Yong Kim auf anderer Linie: FOR ELLEN wartet in vielen Szenen mit einem wunderbar trockenen Humor auf, der aus einer präzise vollzogenen Charakterbeobachtung resultiert. Hier wird sich jeder erinnert fühlen, der einmal mediokre junge Lokalmusiker in peinlich großer Rockerpose erlebt hat. Wie Paul Dano etwa sein mickriges Ziegenbärtchen minutenlang mit Eyeliner aufstylt oder im Suff zu seinem Lieblingssong Luftgitarre auf Knien spielt, das ist Kino der wahrhaftigsten und dennoch unterhaltsamsten Sorte.

Dano schafft es unter So Yong Kims Anleitung dabei, seine Figur nicht zur Karikatur des Rockerposers verkommen zu lassen und ihr stattdessen immer wieder Momente abzugewinnen, die das Mitfühlen mit diesem labilen Joby auch in den Momenten größter Peinlichkeit möglich machen. Denn hinter der Fassade des Lederjackenmackers ist Joby einfach ein verlorenes Kind, das nicht erwachsen werden möchte. Und es dann doch versuchen will, spätestens, als seine Ellen ihn unverblümt unschuldig fragt, warum er sie vorher nie besucht hat. Nur einer von vielen großen Momenten in diesem exzellenten kleinen Film.

Originaltitel: FOR ELLEN

USA 2012, 97 min
FSK 6
Verleih: Peripher

Genre: Tragikomödie

Darsteller: Paul Dano, Jon Heder, Jena Malone

Stab:
Regie: So Yong Kim
Drehbuch: So Yong Kim

Kinostart: 03.01.13

[ Paul Salisbury ] Paul mag vor allem Filme, die von einem Genre ausgehen und bei etwas Neuem ankommen. Dabei steht er vor allem auf Gangsterfilme, Western, Satire und Thriller, gern aus der Hand von Billy Wilder, Sam Peckinpah, Steven Soderbergh, Jim Jarmusch, den Coen-Brüdern oder Paul Thomas Anderson. Zu Pauls All-Time-Favs gehören DIE GLORREICHEN SIEBEN, TAXI DRIVER, ASPHALT COWBOY, SUNSET BOULEVARD, POINT BLANK ...