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Il divo

Vom Enträtseln der Sphinx – ein stilistisch brillant formuliertes, scharfsinniges Filmessay

Am 14. Januar beging Giulio Andreotti seinen 90. Geburtstag. Aus diesem Anlaß reiste Martin Zöller, Redakteur der WELT, zu dem Greis. Erinnerungen, ein Lebensresümee, vielleicht auch neue Erkenntnisse erwartend. Nach einer Stunde Gespräch fragte Zöller sich allerdings, ob er, Andreotti, entweder viel abgründiger oder viel harmloser ist, als man immer dachte. Eine Frage, die sich vor Martin Zöller auch schon einige andere stellten.

Die Sphinx ist nicht zu greifen. Und je klarer konturiert sie erscheint, desto verschwommener ihr Kern. Jede Erkenntnis verweist da zugleich auf ihr Gegenteil. Giulio Andreotti ist eine der schillerndsten Figuren der italienischen Nachkriegsgeschichte. Seit 1948 gehört Andreotti, der Senator auf Lebenszeit, ununterbrochen dem Parlament an. 25 Mal war er Minister, 7 Mal Premier. Beeindruckende Statistik eines Homo Politicus dunkler Prägung – denn Andreottis Biographie wartet noch mit einer anderen Statistik auf: Korruption, Mafiakontakte, Verwicklung in den Mord an dem Journalisten Mino Pecorelli … 29 Mal wurde Andreotti angeklagt. 29 Mal freigesprochen. Die Sphinx ist nicht zu greifen.

Paolo Sorrentinos Film IL DIVO unternimmt dennoch einen Versuch. Und das auf eine ganz raffinierte Art. IL DIVO maskiert sich. Stellt sich als Farce, als Satire, als blutige Clowneske und virtuose, rauschhafte Politoper vor. IL DIVO erzählt bewußt artifiziell. Die Überzeichnung jedoch trifft ins Schwarze.

Denn im Kern ist IL DIVO etwas ganz Unerhörtes, ausgesprochen Seltenes. Ein stilistisch brillant formuliertes, scharfsinniges Filmessay. Eine Reflektion über die Macht. Über ihre Mechanismen. Über ihre Verlockung, ihre Janusköpfigkeit. Ihren Vampir-Charakter. IL DIVO ist weniger ein Abriß der jüngeren italienischen Geschichte und noch weniger ein Andreotti-Psychogramm. Freilich: Als beides kann man IL DIVO getrost sehen, aber der Film greift tiefer.

Man tut Sorrentinos ungemein kunstvoller Arbeit nicht zu viel der Ehre, wenn man ihr etwa die Nähe zu einem Niccoló Machiavelli bescheinigt. Dessen Schriften über die „Mechanik der Macht“ finden in IL DIVO einen klaren, feinen Widerhall. Sind der Resonanzboden, auf dem der Film tänzelt, balanciert, manchmal stampft. Und es gibt Gesten, Stimmungen, Momente, in denen er mehr von einem Königsdrama Shakespeares (bekanntermaßen ein Machiavelli-Leser) hat, als eben von jenem mitunter schrillen Politthriller, den der Film auch so wunderbar gekonnt vorgaukelt.

Denn auch das ist eben IL DIVO: Fettes Kino, das, seiner Möglichkeiten voll bewußt, diese auch souverän einsetzt. Formal ist IL DIVO ein betörendes Fresko zwischen Pop und Barock. Da sind die aufregendsten, schönsten Kamerafahrten seit langem zu sehen. Immer wieder, leitmotivisch, ist da ein stilles Gleiten durch die dunklen Gänge der Macht. Oder Andreotti beim nächtlichen Spaziergang, wie eine Schildkröte tippelnd, beschützt von bis an die Zähne bewaffneten Wächtern. Dazu tönt, sterbensschön, Vivaldi. Und immer wieder der Blick in Gesichter, die oft in bedeutungsvollen Halbschatten liegen. In Macht-, Duckmäuser-, Heuchler-, Idioten- und Verbrechergesichter.

Kontrapunktisch die Gewaltszenen. Die Morde, die damals Italien erschütterten: an Mino Pecorelli, Aldo Moro, Giovanni Falcone, Giorgio Ambrosoli … Die Reihe läßt sich fortsetzen. Denn ja, es geht auch blutig zu in IL DIVO. Shakespeare, wie gesagt.

Vielleicht war die Ära Andreotti die letzte, die man so inszenieren kann. Vielleicht ist Andreotti selbst der Letzte, den man so inszenieren kann. Ein Kretin wie Berlusconi etwa, gibt das nicht her. Andreotti: „Macht verschleißt nur den, der sie nicht hat.“ Oder: „Wir wissen aus dem Evangelium, daß Jesus nicht antwortete, als er gefragt wurde, was die Wahrheit sei.“ Das sind Bonmots von literarischer Qualität. Und darin schwingt nicht nur Sarkasmus, sondern auch ein Stück Fatalismus, vielleicht sogar Traurigkeit.

Zeigt nun also IL DIVO die Wahrheit über Giulio Andreotti? Darauf gibt es keine wirkliche Antwort. Was IL DIVO zeigt, ist die Gefährlichkeit und das Lächerliche der Macht. Der Macht mit dem Gesicht Giulio Andreottis. Und vielleicht reicht das auch schon, um die Sphinx zu enträtseln.

Originaltitel: IL DIVO

I 2008, 110 min
FSK 12
Verleih: Delphi

Genre: Biographie, Polit, Thriller

Darsteller: Toni Servillo, Anna Bonaiuto, Piera Degli Esposti, Paolo Graziosi, Giulio Bosetti

Regie: Paolo Sorrentino

Kinostart: 16.04.09

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.