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My Old Lady

Wohlklingendes Hohelied auf den Mut zum „Trotzdem!“

Bekanntlich steht der November in dringendem Verdacht, Depressionen zu fördern, die Selbstmordrate ansteigen zu lassen und allgemein für schlechte Gefühlslagen zu sorgen. Da benötigt es entweder temporäre Stimmungsaufheller oder bestenfalls die Seele kräftigende Heilmittel unter anderem cineastischer Form, und ein solches ist eindeutig MY OLD LADY, obwohl alles mit einem Todesfall beginnt.

Erwischt hat’s den Vater des abgebrannten New Yorkers Mathias, vererbt wurde ein Apartment in Paris. Ergo flugs nach Frankreich gereist, die Wertanlage verschachern! Blöderweise sitzt darin indes ein 92jähriges Problem namens Mathilde, welche nicht nur lebenslanges Wohnrecht hat, sondern sogar Mietzahlungen verlangen kann. Mathias zieht aus finanzieller Not nun unwirsch dort ein, erwehrt sich parallel dazu Mathildes relativ garstiger Tochter Chloé und hofft, daß die alte Dame endlich stirbt.

Bald fliegen also sarkastische Wortgefechte sowie zynische Anspielungen hin und her, unterbrochen durch skurrile Situationen wie Mathias‘ Abklopfen von Mathildes Gesundheitszustand (leider sehr, sehr gut) bei deren Hausärztin. Folglich wird der Ton immer rauher, zumal Geheimnisse ans Licht kommen, welche den sorgsam austarierten Schwenk gen psychologisches Drama einleiten: Schleichend geht’s um verpfuschte Existenzen und Verletzungen, elterliche Fehler und die Komplexität der Liebe, eigene Bedürfnisse und innere Dämonen. Ein Exorzismus steht den drei Handlungsträgern bevor, nicht gerade leicht, aber stets im Wissen, daß der Schmerz erst dann nachlassen kann, wenn man ihn richtig gnadenlos gefühlt hat. Genau jener unbeirrte Wille zum „Jetzt erst recht!“ erhebt die Geschichte auf ein Level kaum zu erwartender Tiefe und offenbart die Chance, daraus Stärke zu ziehen, eben auch vor der Leinwand.

Darauf versammelt sich derweil fachkundiges Personal, wobei einen für seine Verhältnisse gottlob ziemlich zurückgenommenen Kevin Kline und Kristin Scott Thomas’ bekannte Grandezza Szenenmeisterdiebin Maggie Smith noch überstrahlt. Ihrem Spiel zuzuschauen, bereitet reinstes Gänsehautglück – und fördert gleichsam doch ganz reale Melancholie. Weil die Zeit rast, darob das Kino in vermutlich nicht so ferner Zukunft Smiths endgültige Abwesenheit verkraften muß. Was sollen wir bloß ohne diese elegant-knarzige, spröde-knuffige, schlicht wundervolle Grande Dame tun?!

Originaltitel: MY OLD LADY

USA/F 2014, 104 min
FSK 0
Verleih: Ascot

Genre: Tragikomödie

Darsteller: Maggie Smith, Kevin Kline, Kristin Scott Thomas, Dominique Pinon, Noémie Lvovski

Stab:
Regie: Israel Horovitz
Drehbuch: Israel Horovitz

Kinostart: 20.11.14

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...