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Out Of The Forest – Stimmen aus dem Wald

Gibt es moralische Polemik?

Von 1941 bis 1943 führte der Journalist Kazimierz Sakowicz Tagebuch – was von nichtigem historischen Wert wäre, wenn er darin nicht beschreiben würde, wie in seinem Heimatdorf Ponar Massenexekutionen vorgenommen wurden. Insgesamt 70 000 Juden fielen den Erschießungskommandos zum Opfer, Ponar ähnelte bald einem einzigen anonymen Grab. Sakowicz, selbst wenige Tage vor Ende des Zweiten Weltkrieges ermordet, schrieb seine Erlebnisse und Beobachtungen überaus nüchtern auf, vermerkte neben Einträgen wie "11. August: 200 Männer, zwei Frauen" beispielsweise auch das aktuelle Wetter.

Mit dem Dokument in der Hand, reiste ein israelisches Regisseur-Ehepaar an den Ort des Schreckens, um Zeugen des Massakers zu interviewen. Sie fanden ähnliche Leidenschaftslosigkeit wie in Sakowiczs Niederschrift vor: Die befragten Personen waren nur zu gern bereit, die Stätten des Grauens zu besuchen und Auskunft zu geben. Berichtet wird über brennende Leichenberge, schwunghaften Handel mit den Kleidern der Toten, ermordete Kinder und Stacheldrahtzäune. Nirgends Spuren von Anteilnahme, eine Frau fragt gar, " ... wieso die Juden sich nicht gegen ihre Bewacher verteidigt haben?" Schuld waren (natürlich) immer die anderen, man selbst hatte gar keine Chance, irgendwie zu helfen.

Doch genau hier schlägt sich OUT OF THE FOREST dann zu wenig differenziert auf eine "richtige" Seite. Obwohl die Erzählungen der Überlebenden echt weh tun, bei manchem Zuschauer sogar ohnmächtige Wut hervorrufen werden, versäumen es die Filmemacher, polarisierende Meinungen gegenüberzustellen, und suchen sich aus, was sie zeigen möchten. Die Deutschen existieren quasi überhaupt nicht, dafür erscheinen Ponars Einwohner als kaltschnäuzige Bestien und letztlich niedere Unmenschen. Daß sie während des Krieges großteils noch im Kindesalter waren, interessiert keinen, wenn es darum geht, ihnen moralische Postulate zu präsentieren, welche sie in so jungen Jahren gar nicht erfüllen konnten.

Bei aller berechtigten Kritik schießt der Film damit weit über sein Ziel hinaus und tut im Endeffekt genau das, was er verständlicherweise verurteilt: Er schiebt auf dem einfachsten Weg Schuld zu und schreibt zudem die einzig korrekte Meinung vor.

Originaltitel: MEKIVUN HAYAAR

Israel 2003, 93 min
FSK 6
Verleih: Kinemathek

Genre: Dokumentation

Stab:
Regie: Limor Pinhasov Ben Yosef, Yaron Kaftori Ben Yosef
Drehbuch: Limor Pinhasov Ben Yosef, Yaron Kaftori Ben Yosef

Kinostart: 17.02.05

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...