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Sieben Mulden und eine Leiche

Was nach dem Tode übrig bleibt

Der Tod ist eine Zumutung. Dieser Dokumentarfilm ist es nicht. Dabei klingen die Fakten ausgesprochen bedenklich: es geht um Verwesung, Müll und die ganz praktische Frage nach dem richtigen Umgang mit den materiellen und immateriellen Hinterlassenschaften eines Menschen. Die filmische Antwort, die Thomas Haemmerli liefert, lautet: ab in den Container (auf schwyzerdütsch: die Mulde). Das ist weder pietätvoll noch appetitlich, aber es ist wenigstens ehrlich.

Ausgerechnet an seinem 40. Geburtstag erfährt der Filmemacher durch seinen Bruder vom Tod der Mutter. Als die Söhne deren Wohnungstür öffnen, schlägt ihnen bestialischer Leichengeruch entgegen, und schon im Flur stapeln sich Kisten, Zeitschriftenberge und Müll bis an die Decke. Ihre Mutter hat die großzügige Züricher Wohnung in jahrelanger Sammelwut in eine ausgedehnte Müllhalde verwandelt. Die Brüder sind fassungslos. Mit Chaos hatten sie gerechnet, aber die Realität übertrifft alle Befürchtungen. Haemmerli reagiert instinktiv: er greift zur Kamera und dokumentiert alles, was folgt. Fast vier Wochen lang bergen die Brüder das Erbe. Genauer gesagt: sie entrümpeln und entsorgen all das, was ihrer sammelwütigen Mutter wichtig war - schwankend zwischen Wut, Entsetzen und Trauer. Nach und nach enthüllt der Müllberg auch unzählige Super-8-Aufnahmen, Fotos, Scheidungsdokumente und Briefe, durch die sie mit ihrer eigenen, komplizierten Familiengeschichte konfrontiert werden.

Haemmerli benutzt die Kamera in diesem Prozeß wie ein Schutzschild und den beißend schwarzen Humor als Imprägnierung gegen Selbstmitleid. Er, der in seinen früheren Filmen noch Regisseure verspottete, die den Tod ihrer Eltern zum Ausgangspunkt einfühlsamer "Spür-Dich-Selber-Dokumentarfilme" machen, erlaubt es sich nun in einem sympathischen Anfall von Inkonsequenz, genau dies selbst zu tun.

Sein Film ist gerade deshalb so radikal persönlich, weil er sich immer wieder - offensichtlich hilflos angesichts der monströsen Situation - in den Galgenhumor flüchtet. Eine spannende und kontroverse Diskussion dürfte zum Kinostart deshalb garantiert sein.

CH 2007, 83 min
Verleih: Neue Visionen

Genre: Dokumentation, Schicksal

Regie: Thomas Haemmerli

Kinostart: 01.05.08

[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.