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Sonnenallee

Stones, Stasi, Sozialismus – wunderbar übertriebenes Bildnis einer DDR-Jugend

Stielkamm, Niethosen und ungezügelte Kopfbehaarung. Ganz klar, wir sind in den Siebzigern. Abschnittsbevollmächtigter, Der Schwarze Kanal, und Pionierleiter. Auch ganz einfach: wir sind in der DDR.

Auch hier gab es eine wilde Jugend jenseits von organisierten Ferienlagern, Morgenappellen und Gruppenratssitzungen. Zum Beispiel: Michael. Er wohnt in Berlin, in der Sonnenallee, der Straße, welche den Osten und Westen (fast) verbindet. Eigentlich eher ein stiller Zeitgenosse, erkennt er aber schnell, daß es ziemlich schwierig ist, mit 17 Jahren unter den flinken Augen der sozialistischen Altherrenregierungsriege den modisch gekleideten Popstar zu mimen. Also übt er mit seinem besten Kumpel Mario die Revolution vorerst im Jugendzimmer. Ablenkung findet er in seiner Zuneigung zur mysteriösen, völlig unnahbaren schönen Miriam. Gegen den ersten Liebesschmerz gibt es zum Glück noch die Stones. Aber auch der ABV hat wache Ohren und konfisziert ganz schnell ein Kassettenmagnetband mit der verbotenen Musik der Britrock-Heroen. Doch Michael läßt sich von den Schicksalsschlägen nicht unterkriegen. Enttäuscht von Mario, bei dem die Gesandten der Stasi Erfolg hatten, konzentriert er sich auf seine Miriam, spendet seinem Freund Wuschel Trost, dem die Stones das Leben gerettet haben (zu originell, um zu verraten wie) und nähert sich der Erfüllung seines Popstartraumes. Am Ende tobt die Bevölkerung der Sonnenallee - mit ihm und Wuschel an den Gitarren. Leander Haußmann fährt die volle Tour, doch er hat die Sache im Griff. Er vereint ein Ensemble der kauzigsten Typen : allen voran, der endlich zu alter Form aufgelaufene Detlev Buck als emsiger Abschnittsbevollmächtigter mit Plattenunterhalter-Lizenz, Katharina Thalbach als Michaels Mutter mit landesverräterischen Fluchtgedanken und Henry Hübchen als Kommunisten verachtender Unterhemdfetischist. Und Hut gezogen - solch wunderbaren Schlag von hoffnungsvollen Jungdarstellern gab es bisher nicht. Überhaupt beweist Leander Haußmann viel Geschick jenseits der Bretter: der Spagat von brüllender Komik zur zweifelsfreien Identifikation mit seinen Protagonisten glückt ihm mühelos. Er spielt mit den Mitteln des Musicals, bauscht keine künstliche Tiefgründigkeit auf, sondern vermittelt konzentriert das damalige Zeitgefühl. Übertreibungen inklusive.

D 1999, 101 min
FSK 6
Verleih: DCM

Genre: Komödie, Erwachsenwerden, Polit

Darsteller: Alexander Scheer, Robert Stadlober, Katharina Thalbach, Detlev Buck

Regie: Leander Haußmann

Kinostart: 07.10.99

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.