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Umrika

Demontage der unbegrenzten Möglichkeiten

Ein kleines indisches Dorf in Aufruhr: Soeben, wir haben die 80er, macht sich Udai auf den Weg gen Umrika, also Amerika, um dort das große Glück zu finden. Mama schwankt zwischen Stolz und Sorge, Bruder Rama darf sich jetzt schon damit abfinden, künftig die zweite Geige zu spielen, denn wichtiger sind Udais regelmäßig eintreffende Briefe, welche über verzehrte respektive begnadigte Truthähne, sanitäre Anlagen oder auch Wetterwunder wie Schnee berichten. Diese Berichte von fern geraten zum Ereignis, niemanden wundert, daß enthaltene Fotos aus Illustrierten stammen, und als eines Tages der Postbote mit leeren Händen kommt, woran sich über längere Zeit nix ändert, fällt Ramas Mutter in Trauer.

Bis dato weiß jene Erzählung vom „gelobten Land“ immerhin durch entspannten Humor, sarkastische Anspielungen und aufs Korn genommene (amerikanische) Klischees zu überzeugen. Derweil schaltet die aus Wien stammende Kamerafrau Petra Korner in den Meditativmodus und findet zwischen langen Fahrten, manchmal fast schon elegischen Aufnahmen und in bezwingender Nähe eingefangenen Gesichtern einen Rhythmus, der träumerisch ist, oft aber auch einlullend. Wir sind gespannt, was jetzt passiert.

Nun, es stirbt Ramas Vater, und der zum Mann Gereifte macht sich auf, um Udai zu suchen. Der Kulturschock, zuerst in Mumbai angekommen, könnte angesichts überfüllter Slums, Kriminalität und Armut-Reichtum-Gefälle größer kaum sein. Kein Wunder vielleicht, daß sich Darsteller Suraj Sharma, bekannt aus LIFE OF PI, nur noch eingeschränkt dazu in der Lage zeigt, einen zweiten oder gar dritten Gesichtsausdruck aufzusetzen, während die folgende Odyssee eher auf folkloristische Weise überzeugt, Ausstattung, Farbenpracht bzw. Halbdunkel als optische Stilmittel, musikalische Hintergrundgemälde oder verführerisch präsentierte Gaumenfreuden recht entschlossen einer ausgefeilten Handlung und dramatischen Zuspitzung vorzieht.

In Sundance gab es dafür den Publikums-preis, beim – zugegebenermaßen nächtlichen – Screening während der Leipziger Filmkunstmesse 2015 verließen wiederum Zuschauer den Saal. Zwei extreme Reaktionen, mithin ein scheinbar doch heftig polarisierender Film. Und insofern allein schon von hoher Qualität, denn kaum etwas ist – auch aus Kinosicht – langweiliger als an den Massengeschmack angepaßte Einheitsware, Diskussionspotential stets erwünscht.

Originaltitel: UMRIKA

Indien 2015, 98 min
FSK 6
Verleih: Ascot

Genre: Tragikomödie

Darsteller: Suraj Sharma, Tony Revolori, Prateik Babbar

Stab:
Regie: Prashant Nair
Drehbuch: Prashant Nair

Kinostart: 19.11.15

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...