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Un amour de jeunesse

Die Liebe – ein Theorieversuch

Nee, nee – nix mit Ute Freudenberg und so. Dahingehend ist alles im Lot, ein irgendwie schiefer Film ist diese Jugendliebe aber dennoch, die uns Mia Hansen-Løve da vor die Sinne schiebt. Schief schon deshalb, weil Gefühle, Ausbrüche, Bekenntnisse und Verleumdungen meist dröge Theorie bleiben. Was wirklich seltsam ist, gibt es doch kaum was Explosiveres, Blutigeres, Arglistigeres und Bestialischeres als die erste große Liebe. An den Schauspielern liegt es kaum, daß man derart leidenschaftsloser Zaungast bleibt: Das junge Talent Lola Creton bringt genau diese Mischung aus Mädchenhaftigkeit und Femme désespérée, aus reiner Hingabe und irrationalem Taumel mit, und auch Sebastian Urzendowsky schlägt sich spielerisch und zudem sprachlich ordentlich in seinem Debüt auf französischem Boden.

Es ist wohl vor allem der Text, der den Glauben an diese schmerzende Liebe verdirbt, sowie der falsche Rhythmus, der brav perlenkettenartig emotionale Verbrennungen taktiert, und außerdem das fehlende Echo auf den Fall. Und dabei geht es Camille doch wirklich elend. Gerade war noch alles gut – sie schwer verliebt in den mit 19 nur vier Jahre älteren Sullivan, er ein gelockter, moderner Romeo, der nachts durchs Fenster schleicht und Rosen bringt und dauernd „J’adore, je t’aime, je suis fou de toi“ haucht. Doch wie ernst kann es so einem sein, wenn er doch auf Abstand, Unabhängigkeit und die anstehende Südamerikareise pocht. Die dann auch die Trennung und für Camille den versuchten Suizid bedeutet.

Starker Tobak also, dem die gut gemeinten, in dem Fall aber noch am ehrlichsten wirkenden Aufmunterungsversuche von Camilles Vater gegenüberstehen: „Zeit zum Umblättern!“ Camille aber gelingt genau das nicht, auch nicht, nachdem die Briefe aus Venezuela und sonstwoher seltener und gar nicht mehr kommen, auch nicht, als sie den wesentlich älteren Lorenz zu begehren beginnt, gleich gar nicht mehr, als knapp zehn Jahre später Sullivan wieder in Paris aufschlägt: sie vernarbt und noch immer verschossen, er kaum gereift. Und? Eben!

Es bleibt vage, Hintergründe genügen sich in der Grobskizze, es raschelt arg papieren: Wo Sex und Disput knistern, wo Leidenschaft und Verzweiflung lodern sollten, da wird trocken parliert à la „Was mache ich ohne Dich?“ bis zum vorabendlichen TV-Seriengeklingel „Ich habe Dich wie eine Krankheit in mir“ ... Empathie aber geht anders. Wie? Nun, man schaue sich einfach Sebastian Lifshitz’ SOMMER WIE WINTER an, oder man erinnere sich an den deutschen Film HERZ IM KOPF von Michael Gutmann. Da wird auch nicht alles auserzählt, dafür werden interessante Fragen aufgeworfen, da wird – und genau das ist der Unterschied – glaubwürdig von einer großen Jugendliebe oder auch von einem mühlsteinschweren Split erzählt und eben davon, wie sehr das einen Menschen prägen, verändern und verschleifen kann.

Gleiches gelingt Løve leider nicht, sie strandet in der Inkonsequenz, im Nichtweiterdenken dieser gescheiterten Liebe. So wird Camille für sich vielleicht eine Art Plan B haben, der naturgemäß zwischen zwei Männern pendelt, und sie zieht am Ende des Films trotzdem den gleichen Flunsch wie kurz nach Start.

Originaltitel: UN AMOUR DE JEUNESSE

D/F 2011, 110 min
FSK 0
Verleih: Peripher

Genre: Drama, Erwachsenwerden, Liebe

Darsteller: Sebastian Urzendowsky, Lola Créton

Regie: Mia Hansen-Løve

Kinostart: 27.09.12

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.