D/F/Österreich 2016, 106 min
FSK 0
Verleih: X Verleih

Genre: Biographie, Drama

Darsteller: Josef Hader, Barbara Sukowa, Aenne Schwarz, Matthias Brandt, Charly Hübner

Regie: Maria Schrader

Kinostart: 02.06.16

14 Bewertungen

Vor der Morgenröte

Zuckerrohr und Bitterkeit

1941 erscheint unter dem euphorischen Titel „Brasilien. Ein Land der Zukunft“ Stefan Zweigs Eloge auf diesen Staat in der „Neuen Welt.“ Dem österreichisch-jüdischen Bürgersohn und NS-Flüchtling galt er vor allem als Antithese zu einem sich atomisierenden Europa. Vom 22. Februar 1942 datiert Zweigs Abschiedsbrief, verfaßt im brasilianischen Petrópolis, das ihm eigentlich neue Heimat sein sollte. Aber wohin war binnen eines Jahres der Zukunftstoptimismus verschwunden?

Gewöhnlich hat die bildungseifrige Filmbiographie, gefürchtet wegen ihres Hangs zur dramaturgischen Glättung, auf solche Fragen so eindeutige Antworten, daß man eigentlich selbst hätte darauf kommen müssen. „It’s The Economy, Stupid“ ist aber auch hier der gültige Merksatz. Denn Maria Schrader, auch in der (immer noch neuen) Rolle als Regisseurin, gibt sich mit dem Gewöhnlichen nicht zufrieden und geht auch in Sachen Erzählökonomie ungewöhnliche Wege.

Zweigs Exil in Amerika ist ihr Thema – eine Momentaufnahme, die das Ausschnitthafte nicht verleugnet, sondern ganz im Gegenteil fruchtbar macht. Sie beginnt 1936 mit einem Bankett in Rio de Janeiro, eingefangen von Wolfgang Thalers statischer, majestätisch thronender Kamera, die das Eintreffen des Weltliteraturstars feiert wie eine Krönungsmesse. Im Herbst des Jahres folgt man ihm zum P.E.N.-Kongreß in Buenos Aires, filmisch zerwühlt wie seine Haßliebe zu Deutschland, das 1933 seine Bücher verbrannte und doch stets Sprach- und Geistesheimat blieb. Mit Kriegsbeginn muß der 1934 bezogene Zufluchtsort London aufgegeben werden. Bahia, New York, Petrópolis – die Reise geht weiter, bis zum selbstgewählten Ende.

VOR DER MORGENRÖTE erhebt das Episodische zum Prinzip: Dekaden, Länder überwindet man im Schnittempo. Im Fragmentarischen bleibt das Rastlose dieses Exils erhalten, das ermüdende Zubesuchsein bei wohlgesonnen Gastgebern, ihre bisweilen komischen Versuche, der Berühmtheit aus Europa Ehre zu erweisen, das Hilfeersuchen von Mitexilanten, denen sich Zweig verpflichtet fühlt – und doch nicht umhinkann, sie als empfindliche Störung seiner schriftstellerischen Arbeit zu begreifen. Draußen scheint dazu die brasilianische Sonne, drinnen scheint vor allem Josef Hader – ein Besetzungscoup ohne jeden kabarettistischen Haken, ein Stefan Zweig ohne komische Pointe. Nur still, unbehaust, zerquält und zweifelnd.

[ Sylvia Görke ]