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Bellaria – So lange wir leben!

Ewig haltbar: angejahrte Illusionskonserven

"Nur noch Tsching Bumm und lauter Nackte!" Eine Allianz aus Popcorn-luftigen Lichtspielpalästen und Filmkultur-beauftragten Problemhütten beherrscht die Welt. Doch im siebten Wiener Gemeindebezirk hält ein unbeugsamer Eingeborenenstamm das Kino Bellaria besetzt und läßt an seine Netzhaut nur die Dietrich, die Leander, den Hörbiger und den Rühmann.

Allnachmittäglich träumen sich hier Pensionisten "Hoch drobn auf den Berg", unter die Röcke der Rökk oder an die Seite von Rudolf Prack. Douglas Wolfsperger summt sich mit ihnen an der knisternden Tonspur aus Liebesschwüren und Augenklimpern entlang. Vorerst. Denn gerade als man im Duft von Parfüm, Kaffee und Seligkeit versinken möchte, verrät sich seine Dokumentation als Dolchstoß in den Rücken der Nostalgie. Wolfsperger öffnet die Tür zur Straße und damit die Büchse der Pandora: im Tageslicht sieht man Altersflecken, abgeschabte Jackenärmel, Einsamkeit. Hier ist der Jeansträger Weizmann plötzlich ein vergessener Ex-Travestiekünstler mit dünnem Zopf und Mutti-Gedächtnis-Karton, eine Mondän-Variante von Ilse Werner läßt das Pfeifen und gibt sich dem Hornhautraspeln hin, eine Rentnerin beschränkt sich auf Essen in Dosen, um sich den Genuß der Filmkonserven leisten zu können. Im Bellaria-Repertoire fänden sich noch "Männer mit Vorkriegscharakter" und militärischem Dienstgrad, meint der Gelegenheitsphilosoph und Vorführer, vertretbare Internationalität in k.u.k.-Tradition, meinen ein paar Haider-Anhänger. Mal Komplize, mal nachsichtiger Kritiker, jedoch immer ohne die Arroganz des besserwissenden Kommentators, überläßt Wolfsperger dieser sich glücklich zu Tode erinnernden Gemeinschaft den Entwurf ihres eigenen Kollektivporträts.

Mit Witz, Wärme und sanfter Wut erweist er sich als würdiger Kinobruder des musikalischen Wiener Taubenvergifters Georg Kreisler. Und wie es sich gehört, hat die zur Autogrammstunde angetretene Filmlegende Karl Schönböck die denkwürdigsten Worte auf den Lippen. Die Zudringlichkeit der deutschen Tenbuss-Twins (ein ältliches Verehrerinnen-Zweigestirn, das sich wechselseitig die Sätze zu Ende spricht), entlockt ihm ein verzweifeltes "Sie schon wieder!".

D/Österreich 2002, 95 min
Verleih: Salzgeber

Genre: Dokumentation

Stab:
Regie: Douglas Wolfsperger
Drehbuch: Douglas Wolfsperger

Kinostart: 12.12.02

[ Sylvia Görke ]