Originaltitel: IL COLIBRI

I/F 2022, 132 min
Verleih: MFA

Genre: Drama, Liebe

Darsteller: Pierfrancesco Favino, Kasia Smutniak, Bérenice Bejo, Laura Morante, Nanni Moretti

Regie: Francesca Archibugi

Kinostart: 16.05.24

Der Kolibri

Von Billie Holiday zum Kitsch

Der Anfang ist ein Filmgedicht: Vor betörender Mittelmeerkulisse treten da Frauen und Männer auf, die allesamt auf das Selbstverständlichste eine Bella figura abgeben. Und eingeführt werden in einer schwebenden Szenenfolge, in der sich alles im wahrsten Sinne verdichtet: Landschaft, Licht, Zikaden, Meeresrauschen, kurze Dialoge, heimliche Blicke, Unbeschwertheit - und das dahinter lauernde Schicksal; Liebe, Tod und (I-Tüpfelchen auf allem) die wunderbare Musik Billie Holidays.

Dieser Anfang, er hat in seiner Schönheit und Tragik die traumwandlerische Qualität eines Paolo-Sorrentino-Films. Und zeigt, daß Francesca Archibugi eine Regisseurin ist, die ihr Handwerk kann, eine Handschrift beherrscht – und mit DER KOLIBRI trotzdem scheitert. Was sich freilich schon der Vorlage schuldet. DER KOLIBRI ist die Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Sandro Veronesi. Erzählt wird vom Leben des Augenarztes Marco; von seiner großen, unerfüllten Liebe zu Luisa und seiner unglücklichen Ehe mit Marina, die Marco auf Grund wahrlich haarsträubend schicksalhafter Fügungen kennen-, aber eben nie wirklich lieben lernt. Erzählt wird außerdem von Familie im Ganzen und Kindern im Speziellen; von echten Traum-Bambini, klug, nie nervend, zuckerzuckersüß und dramaturgisch vor allem deshalb da, um all die emotionalen Hell-Dunkel-Kontraste dieses Melodrams auf eine Spitze zu treiben, die, wie es eben so ist, zunehmend abstumpft oder auch wegbricht, ob der Überfrachtung, die man ihr zumutet.

DER KOLIBRI ist aber nicht nur ein Film, der stark anfängt und ebenso nachläßt, sondern in seinem Nachlassen immer wieder mit Szenen, Dialogen, Bildern aufwartet, die an den Anfang erinnern, diese Qualität noch einmal kurz spüren lassen. Nur nützt das wenig, da sich Archibugi insgesamt entschied (oder auch keine andere Wahl hatte), der gefühlsheischenden Kolportagehaftigkeit der Vorlage nachzufolgen. Daß der Film die überstrapazierte Modernismus-Attitüde non-chronologischen Erzählens samt pseudophilosophischer Tiefschürfeleien im Italo-Schmachter des Abspannsongs münden läßt, ist nur konsequent. Von Billie Holiday zum Kitsch.

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.