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Fateless – Roman eines Schicksallosen

Literaturverfilmung mit akustischem Dolch im Rücken

Ist es provokant oder gar verwerflich, einen Überlebenden des Holocaust und Insassen mehrerer Konzentrationslager rückblickend sagen zu lassen: "Dort bei den Schornsteinen gab es in den Pausen zwischen den Qualen etwas, das dem Glück ähnlich war"? Imre Kertész, Drehbuchautor nach seinem eigenen Bestseller, tut es ungeachtet aller Konvention.

Sein Skript nähert sich den Schrecken des Dritten Reiches auf bislang eher unbekannten Pfaden: behutsam. Fast still. Gewalt und Terror lediglich anreißend. Es legt den Fokus des Geschehens ganz auf den Zusammenhalt im Lager und die zutiefst menschlichen Aspekte. Die Hoffnung und das Miteinander. Kertész erzählt die Geschichte des 14jährigen György als Protokoll, eine manchmal brüchige Abfolge von Erinnerungen: daran, wie der Vater zum "Arbeitsdienst" eingezogen wurde. An das Tragen des Judensterns und die damit einhergehende Frage nach der eigenen (verlorenen) Identität. Oder an Menschen, die sich ängstlich, vielleicht einfach teilnahmslos abwandten. Schließlich die Deportation nach Auschwitz, Buchenwald und Zeitz, der Kampf ums Überleben. Und doch immer wieder durchbrochen von Augenblicken, die dem Glück nahekamen.

Als fast durchgängig in melancholisches Sepia getauchter Bilderreigen verläßt sich FATELESS neben den intensiven Dialogen in Verbindung mit allem nicht explizit Gezeigten über weite Strecken ausschließlich auf das Gesicht und Spiel des jungen Hauptdarstellers Marcell Nagy – und tut gut daran. Wenig gelungen dagegen der Versuch, Anfang und Ende mit komisch angehauchten Elementen zu versehen.

Als wirklich störend erweist sich schließlich die Akustik: Daß nahezu alle Synchronsprecher von steifem Deklamieren über nerviges Geifern bis hin zur unfreiwilligen Parodie so ziemlich jede Facette des Unvermögens abdecken, mag ja noch angehen. Der von Altmeister Morricone beigesteuerte Soundtrack, ein unerträgliches Konglomerat aus der bekannten Panflöten-Western-Romantik und viel zu lautem Orchester-Kitsch, mordet dann aber endgültig so manche Szene. Indem es Morricone nicht gelingt, ebenfalls neue Wege zu gehen, raubt er diesem Film letztlich entscheidende Teile seiner Tiefenwirkung.

Originaltitel: SORSTALANSÁG

Ungarn/D/GB 2005, 134 min
Verleih: NFP

Genre: Drama, Literaturverfilmung, Historie

Darsteller: Marcell Nagy, János Bán, György Gaszó, Judit Schell, Sára Herrer

Regie: Lajos Koltai

Kinostart: 02.06.05

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...