Originaltitel: LA DELICATESSE

F 2011, 108 min
FSK 0
Verleih: Concorde

Genre: Tragikomödie, Liebe, Literaturverfilmung

Darsteller: Audrey Tautou, François Damiens, Bruno Todeschini

Regie: David und Stéphane Foenkinos

Kinostart: 12.04.12

1 Bewertung

Nathalie küßt

... und Amélie hat endlich ausgedient

Es ist ihr zögerlicher Gang, es sind die leicht abstehenden Ohren, die sich, von hinten betrachtet, irgendwie melancholisch aus dem schwarzen Haar hervorstehlen, und es ist vor allem ihr Blick, der verrät – Nathalie wird Trauriges widerfahren. So beginnt eine Liebesgeschichte, der man gern länger zugehört und -gesehen hätte, die aber nur Auftakt zu einem ganz besonderen Film mit einer ganz andersartigen Liebesgeschichte sein soll.

Nathalie wird ihren geliebten Freund verlieren, ganz plötzlich, ein blöder Unfall. Sie verliert alles, denn François war einer der seltenen Menschen, mit denen die Zeit einfach nur so rast, als würde man in den Wochen zum Beispiel die Donnerstage auslassen. Und wer einen wahrhaftig geliebten Menschen verloren hat, kann die Verzweiflung, die tief und trotzdem naiv wie jede echte Verzweiflung ist, sehr gut nachempfinden, als Nathalie den Arzt auf der Intensivstation durchschüttelt und anfleht: „Sie müssen ihn aufwecken!“, als sie es am Grab nicht mehr erträgt, dieses wortlose Händeschütteln und dieses ohnmächtige Umarmen. Oder dieses ausgestellte Glück junger Pärchen in den Cafés und vor allem dieses Erkennen, daß die meisten Leute in einer solchen Situation pure Angst vor einem haben, da Trauer nicht gerade sexy ist.

Nathalie wird härter, stürzt sich in eine neue Arbeit, sie flieht vor ihren Eltern, vor den Avancen des Chefs sowieso. Doch eines Tages, da tut sie etwas, was sie im Nachgang nicht erklären kann: Sie küßt den unscheinbaren Kollegen Markus. Einfach so, für sie ohne Sinn. Für Markus schon. Und der ist nicht nur Schwede und trägt entsprechend eigenwillige Hemden und Pullover, der ist auch hartnäckig und entflammt. Und mit dieser merkwürdigen Begegnung mit einem Typen, der sich – wie man so sagt – eher wegguckt als einprägt, mit dieser anfänglichen Wehr, diesem spröden Spreizen wird eine der ungewöhnlichsten Liebesgeschichten des Kinos in Gang gebracht, mit allem, was dazugehört: das Zweifeln und Hadern, das Ranlassen und Abwehren, das ewige Messen mit dem verlorenen Partner.

Die Regisseursbrüder Foenkinos haben sichtlich Freude an der Herausforderung, die dieses ungleiche Paar auch nach außen hin ist: Markus steht für das Solide, das macht Nathalie auch an: „Er sieht immer gleich aus, auf ihn ist Verlaß!“ Dieses Beruhigende ist genau das, was Nathalie braucht. Und doch empfindet Markus, als würde sich die mädchenhafte Frau seiner schämen. Es gibt in NATHALIE KÜSST eben keine Haurucklösungen, der Film schwindelt niemandem in die Taschen – Markus ist, wie er ist, und Nathalie hat erlebt, was sie erlebt hat. Ihre Biographien sind das Zentrum. Daß es auch zahlreiche komische, leichte Momente gibt, ist ja klar, daß einem das Herz wild schlägt, wenn Markus im Garten von Nathalies Oma eine kleine Zeitreise unternimmt, ebenso. Und endlich sieht man mal wieder einen Film, der weiß, wann Schluß ist, die Foenkinos labern nicht, sie erzählen auf den Punkt.

Anteil am Zauber von NATHALIE KÜSST, und zauberhaft ist der Film trotz seiner Erdung wirklich, hat die Musik. Emilie Simon verknüpft all das, was man an Kate Bush, Björk und Regina Spektor toll findet, zu einer ganz eigensinnigen Klangwelt, sie schrieb Sphärisches, Elektronisches und Poppiges zu einem ganz originären Kunstwerk.

Und noch ein Wort dazu: So wandelbar im Spiel, so geradewegs Amélie-rehabilitiert hat man Audrey Tautou lange nicht, vielleicht noch nie gesehen. Es ist ihr Film.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.