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Tanz mit der Zeit

... und gegen sie

Es gibt einige Möglichkeiten, seine Lebensgeschichte öffentlich zu machen. Als Autobiographie vielleicht, oder in Form eines Films. Ursula, Christa, Horst und Siegfried, vier ehemalige Ballett-Mitglieder der Oper Leipzig, wurde eine andere Alternative geschenkt: Sie durften auf die Bühne zurückkehren, um dort ihre Erinnerungen zu tanzen. Und das, obwohl sie schon zwischen 64 und 80 Jahre alt sind.

Die Kamera wohnt ihren Vorbereitungen des großen Auftritts bei, kommt den Persönlichkeiten näher. Und beobachtet, daß der Ausgang zur Bühne ein Dimensionstor zu sein scheint – plötzlich straffen sich Körper, welche eben noch mit schweren Türen gekämpft haben oder ihre schmerzenden Knie mit Wärmesalbe einrieben. Dann die Bewegungen zur Musik. Sie mögen nicht mehr so perfekt gelingen wie früher, verlernt haben die Vier aber auch nichts. Es gelingt der ungewöhnlichen Dokumentation mittels dieser beeindruckenden Szenen, niemals alte Menschen vorzuführen, sondern gereifte Profis beim Ausüben ihrer Kunst zu beobachten. Spannend und manchmal auch herzerfrischend humorvoll dann die Schilderungen, auf welchen teils wundersamen Wegen Ursula & Co. zum Ballett kamen (so war es bei Horst das Verdienst einer "kleinen, überschminkten Frau"), bewegend entführen eingestreute Gedankensprünge in längst vergangene, nicht immer schöne Zeiten.

Leider klammert sich der Regisseur im zweiten Teil jedoch zu verbissen und ausufernd an einzelne Wesenszüge seiner Protagonisten – beispielsweise Horsts Arbeit mit Behinderten oder Christas Religiosität –, als daß daraus ein wirklich facettenreiches Bild dieser faszinierenden Personen entstehen könnte. Gänzlich auf der Stelle tritt TANZ MIT DER ZEIT schließlich gegen Ende, denn irgendwann scheint es sich abseits der Auftritte für unsere vier Solisten bloß noch um körperliche Gebrechen, Arztbesuche, notwendige Operationen und wehmütige Belobigungen ihrer ungleich jüngeren Kollegen zu drehen. Einerseits hemmt das den Erzählfluß, führt manchmal gar zu Langeweile. Und andererseits werden nun starke, unabhängige Charaktere letztlich eben doch hauptsächlich als alte, gebrechliche Leutchen porträtiert – was sie auf keinen Fall sind.

D 2007, 103 min
Verleih: Ventura

Genre: Dokumentation

Stab:
Regie: Trevor Peters
Drehbuch: Trevor Peters

Kinostart: 03.04.08

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...