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Wodka Lemon

Skurrile Liebeserklärung an den Kaukasus

Was tun, wenn das Motorrad plötzlich stehenbleibt in der Einöde, auf einer Betonpiste, die schnurgerade durch den verschneiten Kaukasus führt? Am besten man steigt ab, nimmt nebeneinander Platz am Straßenrand und genehmigt sich einen wärmenden Schluck Wodka Lemon. Und dann beginnt man eine Unterhaltung. Zum Beispiel über die Zeit, als die Sowjets noch da waren ...

WODKA LEMON gehört wohl zum Schönsten, was man sich in diesem Winter ansehen kann. Regisseur Hiner Saleem findet in dieser skurril-melancholischen Tragikomödie zu einer Filmsprache, die Drama mit unerschütterlicher Lebensfreude zu verbinden weiß. Er erzählt vom Sterben eines armenischen Bergdorfes, wo es keine Arbeit mehr gibt, wo nur Unerschütterliche und Alte bleiben. So wie der rüstige Witwer Hamo, der versucht, über die Runden zu kommen. Weil die Pension für den Lebensunterhalt nicht reicht, trägt er nach und nach seine ganze Habe zum Flohmarkt. Erst den Hochzeitsschrank, dann den Fernseher und schließlich die Militäruniform. Beinahe täglich fährt Hamo mit dem Bus zum Friedhof, wo er dann eine Weile am Grab seiner Frau sitzt, ihr die neuesten Begebenheiten erzählt und die seltenen Briefe des Sohnes aus Frankreich vorliest. Eines Tages lernt er dort die schöne Witwe Nina kennen, die ihm nicht mehr aus dem Sinn will ...

Hiner Saleems Bildsprache ist eine Liebeserklärung an die karge Schönheit der schneeverwehten Berglandschaft des Kaukasus. Manchmal mutet sie surreal an - der Wodka Lemon-Kiosk im Nirgendwo, Hamo, der, seinen Schrank auf dem Rücken, die Straße entlang geht, der abgelegene Friedhof im Schnee. Saleems Blick aber gilt ebenso den Details von Innenräumen, großzügigen, fast leeren Zimmerfluchten und Wänden als Zeugen vergangener Zeit. Den Bewohnern nähert sich Saleem mit großem Gespür für ihre Menschlichkeit. Trotz aller Widrigkeiten verlieren seine Figuren weder ihren Optimismus noch ihre Energie.

Mit lakonischem Witz, Humor und Zärtlichkeit sind sie gezeichnet. So verwundert es nicht, daß ein Busfahrer französische Liebeslieder singt und zum Verbündeten Hamos im Werben um Nina wird. Seinen Protagonisten schenkt der Regisseur ein poetisch-surreales Ende, welches gleichsam eine der schönsten Szenen zitiert. Was tun, wenn man mitten in der Unterhaltung ist und das Motorrad plötzlich knatternd weiterfährt? Am besten man steht auf und versucht es einzuholen.

Originaltitel: VODKA LEMON

F/CH 2003, 88 min
Verleih: Kairos

Genre: Tragikomödie

Darsteller: Romen Avinian, Lala Sarkissian, Ivan Franek

Regie: Hiner Saleem

Kinostart: 03.02.05

[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.