D 2016, 102 min
FSK 0
Verleih: Weltkino

Genre: Dokumentation

Regie: Jakob Schmidt

Kinostart: 18.05.17

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Zwischen den Stühlen

Erfrischender Perspektivenwechsel zum Streitthema Bildung

„Alles, was Spaß macht, ist verboten ... Du darfst nicht rennen, Du darfst nicht toben. Manchmal hab’ ich den Eindruck, daß es in der Schule nur darum geht, verwertbares Humankapital zu erzeugen.“ Anna nimmt kein Blatt vor den Mund, und ihre Kritik sitzt. Trotzdem will sie Lehrerin werden. Genau wie Ralf, der als Jugendlicher von der Schule flog, und Katja, die als Kind einer Lehrerin in die Fußstapfen ihrer Mutter treten will. Sie alle werden als Referendare in verschiedenen Berliner Schulen nach dem theorielastigen Studium ins kalte Wasser geworfen. Im Referendariat erleben sie eine schizophrene Zeit: Sie lehren, während sie selbst noch lernen. Sie vergeben Noten, während sie ihrerseits benotet werden. Sie müssen Schülern Orientierung geben, obwohl sie die selbst noch suchen. Sie alle müssen strampeln, drohen unterzugehen und zweifeln, fangen sich aber und stehen schließlich vor ihrer Klasse und einer ganzen Phalanx von Prüfern, um auch ganz offiziell den Beruf ausüben zu dürfen, dessen Burnout-Rate legendär ist.

Der junge Regisseur Jakob Schmidt kann keine Aussage darüber treffen, ob Katja, Anna und Ralf in einer paar Jahren das gleiche Problem haben werden. Aber er kann zeigen, wie es zu diesem Problem kommt. Zu große Klassen, keine Fehlerkultur und vor allem die Angst, Schwäche zu zeigen. Am Beispiel der Referendare wird wie unter einem Brennglas sichtbar, woran das ganze System krankt. Ist dies also einer dieser bildungskritischen Rundumschläge, nach denen man am liebsten den Kopf in den Sand stecken will?

Keineswegs, denn Regisseur Schmidt gelingt es, ohne Kommentar, aber mit sprechenden Bildern, eine Situationskomik sichtbar zu machen, die weder auf Kosten seiner Protagonisten geht noch Depressionen triggert. Der Film nähert sich seinem Thema leichtfüßig, ohne dabei an Komplexität einzubüßen. Das gelingt, weil er drei Menschen in den Mittelpunkt stellt, die mutig und offen sind, empathisch agieren und dennoch (oder gerade deshalb) manchmal einfach nicht weiterwissen.

Bei der Premiere bei DOK Leipzig ernteten die Protagonisten minutenlangen Applaus. ZWISCHEN DEN STÜHLEN gewann beim Festival mehr Preise als jeder andere Film des Jahrgangs 2016 und galt – völlig zu Recht – als Publikumsliebling, weil es ihm gelingt, die Herausforderungen, mit denen Lehrer konfrontiert sind, unverblümt ins Bild zu setzen, ohne dabei Weltuntergangsstimmung zu verbreiten.

[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.